In einer Zeit, in der Religion immer stärker öffentlich inszeniert wird, geraten Glaubensvorbilder unter besondere Beobachtung. Besonders dann, wenn Wort und Tat auseinanderfallen.
Als ein Beispiel von vielen tausenden von Imamen in der muslimischen Welt liefert neben Ali Erbas, Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet und Vollstrecker der islamistischen Politik von Präsident Erdogan, der kuwaitische Imam Mishary Rashid Alafasy, dessen Koranrezitationen millionenfach geklickt werden. Während er in einer Freitagspredigt mit tränenerstickter Stimme den Vers 42 aus der Sure Hûd rezitiert – „Das Schiff trug sie zwischen Wogen wie Berge …“ – fließen Tränen in der Moschee. Gläubige weinen, Kameras laufen. Ein Moment tiefer Emotionen, Andacht und Dankbarkeit.
Doch kurz nach diesem Auftritt tauchen Bilder auf, die ein ganz anderes Bild vermitteln: Im Sommer 2023 zeigt ein Video aus Kanada denselben Imam beim Aussteigen aus einem Rolls Royce, leger gekleidet, flankiert von Bodyguards, auf dem Weg zu einer luxuriösen Bootstour. Die Szene verbreitet sich rasch in den sozialen Netzwerken und entfacht eine Debatte über Authentizität, Glaubwürdigkeit und den wachsenden „Markt der Frömmigkeit“.
Prophetische Bescheidenheit vs. moderner Pomp
Kritiker verweisen auf das Vorbild des Propheten Mohammed, der in Kriegszeiten vor Hunger Steine um seinen Bauch band und ein Leben der Einfachheit predigte. Diese Bescheidenheit wurde als Lehre an die Gemeinschaft verstanden – Geduld, Verzicht und Authentizität.
Heute hingegen inszenieren manche religiösen Autoritäten Tränen in der Moschee, während sie außerhalb ein Leben voller Luxus führen. Es geht nicht mehr nur um einzelne Personen, sondern um ein System, das religiöse Gefühle kommerzialisiert und Gläubige instrumentalisiert.
Religion ist kein Theater
Im Kern der Kritik steht die Diskrepanz zwischen öffentlicher Predigt und privatem Lebensstil. „Imamsein bedeutet nicht, vor der Menge zu weinen – es bedeutet, ihre Last zu tragen“, lautet der Tenor. Dankbarkeit lasse sich nicht durch Rhetorik, sondern nur durch einen schlichten Lebensstil glaubwürdig vermitteln.
Wenn Religion zur Bühne und Tränen zum Requisit werden, ist nicht mehr die Predigt entscheidend, sondern die gelebte Haltung.
Mehr Transparenz, weniger Show
Der Fall Alafasy verdeutlicht ein wachsendes Misstrauen gegenüber religiösen Autoritäten, die einerseits zu Demut mahnen, andererseits in Luxusautos und auf Jachten unterwegs sind. Es geht nicht nur um Moral, sondern um Transparenz: Woher stammen die Gelder? Wer finanziert das Leben in Saus und Braus?
Das Video von Imam Alafasy und die vielen im Netz auffindbaren Publikationen von Ali Erbas, dem Chef der türkischen Religionsbehörde Diyanet sind nicht nur ein Skandalbild, es ist ein Weckruf: Gläubige und Öffentlichkeit erwarten Integrität statt Inszenierung, gelebte Werte statt PR-Show. Religion ist kein Schauspiel, Tränen sind keine Deko – und Glaubwürdigkeit bleibt das höchste Gut.
Link zum Video: https://www.facebook.com/share/v/1DbrMCrqt2/?mibextid=wwXIfr