Die Türkei, die von den herrschenden politischen Kräften und ihren amerikanischen Partnern bewusst in ein „Afghanistan-, Libanon-, und Syrien-Syndrom“ geführt wird, entfernt sich zunehmend von den Grundpfeilern der säkularen, laizistischen Republik und der Staatsdoktrin von Mustafa Kemal Atatürk, welcher einen modernen Staat, unabhängig der Herkunft, Ethnie und Religionszugehörigkeit skizziert hat.
Das die US-Unterstützung und das Hofieren von Islamisten ein grundlegendes und massives Thema für die europäische Sicherheitsarchitektur darstellt, ist vielen in der EU noch immer nicht klar.
Es ist kein Zufall, dass der im März 2025 von US-Präsident Trump in der Türkei stationierte US-Botschafter Thomas J. Barrack die religiös definierte Rechtsordnung des „Millet-System“, welches die politische Führung unter dem Aspekt der Ethnie und Religionszugehörigkeit des osmanischen Sultanats in öffentlichen Statements und Publikationen als Vorzeigemodell für die gesamte Region kundgetan hat.
„Divide et impera“, teile und herrsche, dieses Modell beherrscht die US-Politik, ob im Ukraine-Konflikt, im Nahen Osten oder in der Türkei zur Perfektion. Handlanger, Opportunisten und Erfüllungsgehilfen dieser fatalen imperialistischen Politik gibt es zu genüge, ob in der EU, in der Türkei, im arabischen Raum oder in Lateinamerika. Ferngesteuerte Staatsmänner und deren politische Kabinette, Islamisten im Nadelstreif oder vormals gesuchte Mörder und Terroristen, welche im Handumdrehen, krampfhaft und leicht durchschaubar zu seriösen Politikern und Ansprechpartnern des Westens erklärt werden, bereiten den Boden zum Ausverkauf des eigenen Landes auf (bereichern sich auch selbt und ihre korrupte Clique) und sind der Grund dafür, warum Millionen von Menschen flüchten müssen.
Wer bekommt, dann die Flüchtlinge und die negativen Folgen dieser Entwicklungen ab? Die EU und ihre Mitgliedsstaaten in unterschiedlicher Intensität und entsprechenden nationalstaatlichen Auswirkungen.
Die US- Politik hat in der Vergangenheit und Gegenwart mehrmals bewiesen auf welcher Seite sie steht und dass sie bereit ist, umayyadisch-sunnitisch-klerikale Islamisten zu finanzieren und mit Kriegsmaterial auszustatten. Diese US-Staatsdoktrin ist einer der Grundübel für all die Konflikte und Kriege, welche sich aus einer Mischung aus Ignoranz und berechnendem Kalkül zusammensetzt.
Es braut sich gerade vor den Türen Europas zur Türkei etwas zusammen, was sich in absehbarer Zeit für uns Europäer als ein massives Sicherheitsdebakel herauskristallisieren wird. Ein konkretes Bespiel aus der Türkei:
Im Zuge der als Friedensgespräche getarnten und von der US-Politik orchestrierten, öffentlichen Diskussionen mit der Regierungspartei AKP, MHP sowie der klerikalfaschistischen SP und kurdischen Terrororganisation PKK geht es im Kern darum, die Türkei in ein föderales System umzuwandeln und in ethnisch, religiöse Blöcke aufzuteilen.
Die durch den Vorsitzenden der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), Devlet Bahçeli, geäußerte Aussage „Der Präsident sollte zwei Stellvertreter haben – einer Kurde, der andere Alevit“ sorgt für politische Spannungen und ist ein Indiz dafür, wohin die Reise gehen wird. Die Aufteilung der Türkei nach Ethnien und Religionszugehörigkeit ebent den Weg in ein Afghanistan-, Libanon- und Syrien-Syndrom. Dies wird massive Auswirkungen auf die europäische Sicherheitsarchitektur haben und unsere Gesellschaften.
Was geschah vor der Aleviten-Initiative innerhalb der Polizei?
Der Journalist Tolga Şardan schrieb in seiner Kolumne auf T24, dass Ali Yerlikaya nach seinem Amtsantritt als Innenminister durch ein veröffentlichtes Dekret über die Ernennung der Provinzpolizeichefs mehrere alevitische Polizeichefs aus dem Amt entfernte.
Regelmäßige Leser von „Büyüteç“ (Lupe) erfuhren bereits am 20. Juni von der durch Bahçelis Aussagen ausgelösten Debatte über eine „Aleviten-Initiative“.
Seitdem herrscht in der alevitischen Gemeinschaft gespannte Erwartung. In den Tagen, in denen das Projekt eines „terrorfreien“ Landes besonders hervorgehoben wurde, fand diese Debatte sowohl in der AKP als auch in der MHP breiten Widerhall.
Die wohl bedeutendste Stellungnahme in diesem Prozess kam bislang von MHP-Chef Devlet Bahçeli.
Die durch Journalist İsmail Saymaz aufgegriffene Aussage Bahçelis, dass „einer der Vizepräsidenten Kurde, der andere Alevit sein sollte“, löste in der Öffentlichkeit eine unerwartete Reaktion aus. Einige betrachten Bahçelis Vorschlag als Schritt zur „Libanonisierung“ des Landes. Unterstützer dieser Einschätzung sehen in Bahçelis Ansatz die offizielle Anerkennung einer ethno-religiösen Spaltung.
Als Reaktion auf die Kritik erklärte Bahçeli:
„In einer Phase, in der die Türkei Schritt für Schritt voranschreitet, wurde erwogen, dass einer der beiden Vizepräsidenten Alevit, der andere Kurde sein könnte. Dies mit dem Libanon in Verbindung zu bringen, ist eine Verzerrung und bewusste Irreführung!“
Jenseits des „Libanon-Aspekts“ stellt sich die eigentliche Frage:
Inwieweit basieren die Ernennungen im Staatsapparat auf Kompetenz (Loyalität vs. Qualifikation)?
Wenn man ehrlich ist: Wäre die Vergabe von Posten wirklich nach Kompetenz geregelt, dann bräuchte es Bahçelis These gar nicht. Denn dann würde es keine Rolle spielen, welche Weltanschauung, Religion, Konfession oder ethnische Herkunft jemand hat.
Ich werde nun ein aufschlussreiches Beispiel aus jüngster Zeit nennen, das zeigt, was auf diesem Weg bereits passiert ist.
Die betroffene öffentliche Institution – wie Sie vermutlich schon vermuten – ist die Polizei.
Nach den Wahlen 2023 trat Ali Yerlikaya sein Amt als Innenminister an und veröffentlichte ein umfassendes Dekret, mit dem er die von seinem Vorgänger ernannten Provinzpolizeichefs austauschte. Darunter befanden sich auch vier Aleviten. Während einige Polizeichefs lediglich versetzt wurden, wurden diese vier Aleviten direkt in das Ministerium zurückbeordert („kaltgestellt“). Ziel von Yerlikayas Maßnahmen war es, das von seinem Vorgänger Süleyman Soylu aufgebaute und stark kritisierte Personal zu ersetzen. Dieses Ziel erreichte Yerlikaya auch – viele der mit Soylu verbundenen Beamten verloren ihre Posten. Jedoch: Die vier betroffenen alevitischen Polizeichefs gehörten nicht zum engen Kreis Soylus. Ganz im Gegenteil: Sie waren für ihre Kompetenz und Integrität innerhalb der Polizei bekannt. Außerdem gehörten sie jener Gruppe an, die nach dem Korruptionsskandal vom 17.-25. Dezember (2013) von der Regierung um Hilfe gebeten wurde mit den Worten: „Helft uns, uns von der Gülen-Bewegung zu befreien“. Diese Beamten standen gleichzeitig treu zu den Prinzipien Atatürks. Doch da sie in derselben Zeit wie Soylu eingesetzt wurden, wurden sie fälschlich ebenfalls seiner Fraktion zugeordnet. Gegenwärtig gibt es keinen einzigen alevitischen Polizeichef auf Provinzebene mehr.
Und damit nicht genug:
Auch unter den ausländischen Polizeiverbindungsbeamten im Dienst des Innenministeriums während der Soylu-Ära gab es drei Aleviten. Nach ihrer Rückkehr in die Türkei – zusammen mit vielen anderen Attachés – wurden nur diese drei alevitischen Polizeibeamten einer Sonderregelung unterworfen und nicht wie ihre Kollegen auf neue Auslandsposten verteilt. Diese drei meldeten ihre berechtigten Beschwerden der oberen Leitung.
Später wurden sie gemeinsam mit den anderen „zurückbeorderten“ Aleviten in derselben Abteilung, im Prüfungsrat (Teftiş Kurulu), untergebracht.
Auch wenn die Polizeiführung das nicht offen zugeben will – das ist die Realität. Man hätte sich gewünscht, dass die MHP-Führung sich für diese Polizeibeamten eingesetzt hätte – und zwar bevor überhaupt von einer Aleviten-Initiative die Rede war. Dass sie sich für Qualifikation einsetzt, unabhängig von Konfession oder Weltanschauung. Doch die MHP zog es offenbar vor, Beamte mit fragwürdiger Vergangenheit, gegen die sogar Gerichtsverfahren laufen, zu unterstützen, statt die Rechte kompetenter Aleviten zu verteidigen. Nach Soylu stehen auch Yerlikaya MHP-nahe Akteure nahe, die offensichtlich Einfluss auf ihn ausüben. Wenn also derzeit über eine Aleviten-Initiative diskutiert wird und Bahçeli die Entwicklungen mitverfolgt, sollte die MHP-Führung Vorreiter bei der Umsetzung von echter Leistungsgerechtigkeit (Loyalität vs. Kompetenz) sein.
Nur so wird es möglich sein, Posten ohne Rücksicht auf Konfession oder ethnische Herkunft an fähige Menschen zu vergeben. Dasselbe gilt übrigens auch für die AKP.