Ein Bürger aus Wels kontaktierte mich 2010 in meiner damaligen Funktion als Bundesrat.
Er brachte eine dicke Mappe an Unterlagen mit, welche er über den Kauf von zwei Neuwagen und die Korrespondenz mit Behörden, Gerichten, Politikern und Zeitungsausschnitten penibel zusammengetragen hatte.
2009 kaufte er zwei neue Fahrzeuge der Marke VW Polo. Das alte Auto sollte wegkommen, weil es zu viel Treibstoff verbrauchte. Nach kurzer Zeit war die Freude vorüber, als ein erheblicher Mehrverbrauch festgestellt wurde (Herstellerangabe 5,8 l/100 km, tatsächlich 10 l/100 km – dadurch höherer CO2-Ausstoß, analog dazu wäre eine höhere NoVA fällig und der Entgang von Steuereinnahmen sowie Mehrkosten für den Staat für das Nichterreichen der Klimaziele). Die Beschwerden bei der Firma AVEG gingen ins Leere. Kein Gehör bekam er beim VKI und beim Büro des damaligen Umweltlandesrates. Da er überall mit dem Argument “Do kau ma nix mocha” abgewimmelt wurde, beschritt er den Rechtsweg. 2011 fand die erste Verhandlung am Landesgericht Wels statt. Diesen Weg konnte er nur beschreiten, weil er eine Rechtsschutzversicherung hatte. Anwaltskosten und Kosten für die Gutachten beliefen sich auf 70.000 Euro. Die TU Wien, eigentlich ein Ort der freien, unabhängigen Forschung und Lehre, bediente sich für die Erstellung der Gutachten idealisierter Testbedingungen. Der zweite Termin bei Gericht fand 2012 ohne Ladung des Betroffenen statt. Sein Anwalt informierte den Kläger, dass es einen Richterwechsel gegeben habe und das Klagebegehren abgewiesen worden sei. Den Welser hat es Nerven und Zeit gekostet, den VW-Konzern, im Nachhinein gesehen, diese Präpotenz einige hundert Millionen. Warum ich dieses Beispiel anführe? Wenn es uns nicht gelingt, Vertreter der Wirtschafts- und Finanzwelt sowie die Vertreter der Politik für eine ethische Programmatik zu gewinnen, werden derartige Ungerechtigkeiten nicht nur manche Branchen ins Wanken bringen, sondern ganze Systeme ihrer Glaubwürdigkeit berauben. An diesem Beispiel wird deutlich, dass das europäische Defizit nicht nur im Ökonomischen und Politischen, sondern auch im Moralischen liegt. Effizienz ohne Rücksicht, Führung ohne Verantwortung, Politik und Wirtschaft ohne moralische Vision, Handel und Wirtschaft ohne Rücksicht auf zukünftige Generationen gefährden das geistige und wirtschaftlich-soziale Überleben.
Wir stehen vor einem Sinn-, Werte- und Normenvakuum, das nicht nur eine Herausforderung für Einzelne, sondern ein Politikum von allerhöchstem Rang ist. Ob Porsche-Chef Wiedeking sich beim Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Verheugen, auch heute noch bedanken würde “für seine stark wahrnehmbare Unterstützung für die deutsche Automobilindustrie” wie 2007, sei dahingestellt.