Wählen als “Democracy light”: Briefwahl ist so einfach geworden wie ein Online-Einkauf bei Amazon.
Bei der letzten Stichwahl zur Bundespräsidentenwahl haben fast 900.000 Wähler eine Wahlkarte beantragt. Diesmal werden es noch mehr sein, darunter ca. 55.000 Auslandsösterreicher (von geschätzten 300.000 im wahlfähigen Alter). Auf der Website der Stadt Wien war es zum Beispiel möglich, ohne ausreichende Identitätskontrolle einen simplen Online-Antrag zu stellen. Nötig waren nur Name, Geburtsdatum, Hauptwohnsitz, Reisepass-Nummer. Zusätzlich konnte sich jeder die Wahlkarte an eine x-beliebige Adresse schicken lassen. Ob die Wahlbehörden den Überblick haben, wie viele Wahlkarten an bestimmte Zweit-Adressen geschickt wurden beziehungsweise ob der Wahlberechtigte dort auch tatsächlich aufhältig ist, ist fraglich.
Schon bei der letzten Nationalratswahl ist ein türkischstämmiger SPÖ-Kandidat aus dem reaktionären islamistischen Milieu dadurch aufgefallen, dass er unverhältnismäßig viele Vorzugsstimmen erhalten hatte. Das Verfahren wurde damals eingestellt. Die Wahlbehörde hat nach wie vor Vertrauen in den Briefwähler. Eine falsche Unterschrift oder wahrheitswidrige Erklärung haben zumindest bis jetzt keine strafrechtlichen Konsequenzen, denn: Wo kein Kläger, da kein Richter.
Die Wahlkarte wird normal oder als eingeschriebene Briefsendung zugestellt. Wie jeder Postler weiß, ist laut Zustellgesetz im Inland auch die sogenannte “Ersatzzustellung” möglich, sprich, dass der Brief mit der Wahlkarte auch an einen Ersatzempfänger möglich ist, wenn der Adressat selbst nicht anwesend ist. Ob dabei getrickst wurde oder nicht, ist nur schwer beweisbar.
Die Neu-Auszählung in den Swing-States in den USA beweist, dass immer weniger Vertrauen in die Korrektheit staatlicher Wahlabläufe besteht. Was nicht zuletzt mit dem Servicegedanken zu tun hat: Alles für den “Kunden”. Bei einer so weitgehenden Liberalisierung der Briefwahl stellt sich die Frage, ob das verfassungsrechtlich verankerte Prinzip einer “freien, geheimen, persönlichen und unbeeinflussten Wahl” noch gewährleistet ist? Vielen urbanen Bürgern erscheint der Wahlgang lästig, sie haben “Wichtigeres” zu tun.
Szenenwechsel: Vor einem Jahr fanden in Myanmar nach 50 Jahren Diktatur erstmals freie Wahlen statt. Viele kamen von weit her, um der Friedensnobelpreispreisträgerin zum gewaltigen Sieg zu verhelfen. Dieses Bild sollten wir uns vor Augen halten. Wem Demokratie etwas wert ist, der sollte alle paar Jahre auch bereit sein, etwas zu tun. Dafür ist bei uns kein Gewaltmarsch nötig. Sondern nur etwas mehr Verantwortung und weniger Bequemlichkeit. An der Briefwahl soll nicht gerüttelt werden. Sie ist aber reformbedürftig.