Nach dem Schock am Wahltag steht die pauschale Parteinahme für Zuwanderer infrage
Wien – Es war ein blaues Wunder für die Grünen: Während die hochanständigen Ökos am Wahlabend mit langen Gesichtern dastanden, ließ sich der Rechtsrabauke Heinz-Christian Strache wie ein Popstar feiern. Jeder dritte Wähler unter 30, bisher Domäne der Grünen, hatte der FPÖ die Stimme gegeben.
Der Schock ging an den Verlierern nicht spurlos vorüber. Erst taten es nur einzelne Häretiker hinter vorgehaltener Hand, nun sprechen bereits Promis wie Peter Pilz offen das Undenkbare an: Brauchen die Grünen eine Wende in der Ausländerpolitik?
Die Kritiker rütteln damit an einem Tabu. Stets haben die Grünen Zuwanderer bedingungslos verteidigt: gegen den Staat, der Ausländern fundamentale Rechte unterschlage. Gegen die Gesellschaft, die sie in Ghettos abschiebe. Und gegen Rechtspopulisten, die aus Fremdenhass Kapital schlagen. Integration hält die grüne Orthodoxie ausschließlich für eine soziale und legistische Frage: Wären Migranten gleichberechtigt, würden sich alle Probleme von selbst lösen. Wer da vor Parallelgesellschaften warnt, in denen sich der konservative Islam ausbreite, wird rasch der Scharfmacherei verdächtigt.
Genau solche verpönten Begriffe nehmen nun die Dissidenten in den Mund. Sie warnen davor, Zuwanderer – bei aller unbestrittenen Diskriminierung – pauschal zu Opfern zu stilisieren. Niemand wolle Strache nacheifern, beteuern die Kritiker. Doch die Grünen müssten sich auch trauen, existente Probleme anzusprechen, statt die Ängste der Leute allesamt als xenophobe Hirngespinste abzustempeln. Im Standard zählte Pilz folgende Phänomene auf, die einer Lösung bedürften: ausländische Jugendbanden, dealende Asylwerber, kulturelle Parallelgesellschaften, Unterdrückung von Frauen.
Längst überdenken nicht nur die Querköpfe die grüne Linie. Auch Wiens Parteichefin Maria Vassilakou, Vertreterin des Mainstreams, räumte in der Presse ein, Werte wie Feminismus und Liberalismus zu wenig eingefordert zu haben. Dass Bundesrat Efgani Dönmez, der genau das thematisieren will, trotzdem regelmäßig Prügel kassiert, liegt an seiner mitunter nicht nur politisch, sondern auch sachlich unkorrekten Wortwahl – und wohl auch an einem Konkurrenzkampf. Alev Korun, Migrationssprecherin im Parlament, hat Dönmez per offenen Brief “rechte Sprüche” vorgeworfen. Persönlich unterhalten haben sich die beiden noch nie. (Gerald John/DER STANDARD Printausgabe, 19. Dezember 2008)