Erdogan’s bevorstehender Wahlkampfauftritt in Österreich und seine polarisierende Politik samt seinen Verbindungen in Form von „Kulturvereinen“, „NGO’s“ und „instrumentalisierten Moscheevereinen“ sind die Träger der türkischen Innenpolitik nach Österreich. Da es sich bei diesem Österreichaufenthalt von Erdogan offensichtlich um eine Wahlpropaganda für die bevorstehenden türkischen Wahlen handelt, ist es geradezu wichtig, dass er von den offiziellen Vertretern der Republik Österreich nicht empfangen wird. Alles andere wäre eine Aufwertung und eine Verkennung der Tatsachen und ein fatales Signal auch gegenüber der Demokratiebewegung in der Türkei.
United European Turkish Democrats (UETD), Union der türkisch-islamischen Kulturvereine (ATIB), Partei der islamisch- nationalen Sicht (Milli Görüs) und sonstige kleinere Verbände meist aus dem Balkan mit einer konservativ-islamistischen Agenda tragen dazu bei, dass stets eine Lücke zur Mehrheitsgesellschaft aufrecht gehalten wird. Von genau dieser Lücke leitet sich die Existenzberechtigung vieler dieser „Vereine“ und auch der österreichischen Rechten ab. All diese Gruppierungen sind in Österreich miteinander verbunden. Die Netzwerke reichen bis in die Türkei, wo sie von politischen Parteien, wie der AKP, MHP, Milli Görüs oder religiösen Gruppierungen, wie den Süleymancilar und Said-i Nursici gesteuert, instrumentalisiert und organisiert werden. Österreich ist insofern das Hinterland des politischen Islams geworden. Viele der Anhänger des politischen Islams und Erdogans leben physisch in Österreich, aber in den Köpfen sind sie in Österreich (noch) nicht angekommen. Diese Gruppierungen, welche eine archaisch zugewandte Lebensweise präferieren und somit jegliches ernsthafte Bemühen für ein gutes Zusammenleben verschiedener Bevölkerungsgruppen in Österreich unmöglich machen, bilden für die aufgeklärten TürkInnen und türkischstämmige ÖsterreicherInnen keine Identifizierungsgrundlage.
Glaubt jemand ernsthaft daran, dass mit Pro-Erdogan-Kundgebungen in Österreich samt Wahlpropaganda, wehenden AKP-Fahnen auf den Straßen von Wien, Autokonvois mit Erdogan Plakaten und sonstigen islamistisch-nationalistischen Symbolen in der Öffentlichkeit die Sympathie gegenüber den in Österreich lebenden Türken anhebt bzw. das schlechte Image dadurch verbessert wird?
Einige Akteure aus diesen Gruppierungen sind in den großen Regierungsparteien – der ÖVP und der SPÖ – aktiv. Von den Regierungsparteien wurde Hasan Vural (ÖVP) und Resul Ekrem Gönültas (SPÖ), welche ganz offensichtlich dem Unterstützerkreis der AKP angehören, ins Rennen zur Nationalratswahl 2013 geschickt. Von den Obmännern der ATIB und sonstigen Gruppierungen ganz zu schweigen: Diese wurden von der SPÖ als Arbeitnehmervertreter in die Arbeiterkammer oder sonstigen Gremien entsendet. Unter dem Motto: “Eine Hand wäscht die andere“, werden diese Akteure und deren Sichtweisen salonfähig gemacht und nahezu hofiert: In den Moscheen wird aktiv um Wählerstimmen für SPÖ und ÖVP geworben, im Gegenzug gibt es diverse Unterstützungsleistungen: Diese reichen vom Empfang beim Bundespräsidenten, bis zu gesponserten Multikulti-Festen, diversen Sachspenden und Sponsoring für Konzerte von eingeflogenen Künstlern aus dem Herkunftsland.
Erdogan’s Auftritt in Österreich und seine von der Türkei aus gesteuerten Institutionen sind Wind in den Segeln der österreichischen Rechten. Straches Interview in der Österreich-Ausgabe vom 08.06.2014 ist der beste Beleg dafür. Leider wird diese Thematik politisch nur dem rechten Lager überlassen. Die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP unterstützen – wie bereits ausgeführt – diese Gruppierungen und machen die Vertreter eben dadurch salonfähig. Die Grünen bringen die wenigen Kritiker dieser Entwicklung zum Schweigen und stellen diese auf das politische Abstellgleis. Somit machen sich meines Erachtens alle politischen Parteien für den Status quo mitverantwortlich.
Mit jedem seiner Auftritte und verbalen Attacken gegen Andersdenkende in Europa, sei es die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der deutsche Abgeordnete Cem Özdemir oder auch BürgerInnen aus der Zivilgesellschaft, liefert sich Erdogan ein Wettrennen mit den europäischen Rechten über Ausgrenzung, Diffamierung und Polarisierung. Dass er bei seiner Wahlkampftour rechte Gruppierungen unterstützt, nimmt er auf Kosten der in Europa lebenden, aus der Türkei stammenden Menschen, wissentlich in Kauf. Denn genau von dieser radikalen Polarisierung lebt seine Politik und die der Rechten in Europa. Alleine die Ankündigung, dass der islamistische Führer Erdogan in Wien einen Wahlkampfauftritt absolvieren wird, hat in den sozialen Netzwerken für höchst aufgeladene Stimmung gesorgt. Andersdenkende werden beschimpft, verunglimpft und sogar offen mit Gewalt bedroht. Dazu zählen vor allem Leute aus dem Umfeld der UETD und sonstigen AKP-Ablegern in Österreich. Die AKP distanziert sich nicht von derartigen Verunglimpfungen und genau dies zeigt, welche Geisteshaltung hier gegenüber Andersdenkenden eingenommen wird. Wenn die Details aus dem österreichischen Pro-Erdogan-Lager bekannt werden, mit welchen Mitteln, Methoden und welcher Wortwahl gegen Andersdenkende vorgegangen wird, wird die AKP insgesamt massiven Schaden erleiden. Die Berater des türkischen Präsidenten täten gut daran, die wildgewordene Meute an die kurze Leine zu nehmen. Denn letztendlich geht es nicht nur um das angekratzte Image der AKP sondern auch um das der Türkei. Statt liberal-kritisch denkende Menschen auszugrenzen, sollten die offiziellen Vertreter der Türkei versuchen diese, für einen Werte,- und Imagewandel innerhalb der Community zu gewinnen. In dem Umfeld in dem sich die offiziellen türkischen Vertreter gegenwärtig bewegen, werden keinen Beitrag dazu leisten können, weil es außer am Geld fast an allen „Soft Skills“ mangelt. Die vergangenen 50 Jahre, seit der Unterzeichnung zwischen Österreich und der Türkei bezüglich dem Anwerbeabkommen sowie die Statistiken sind der beste Beweis dafür.
Wenn Erdogan zu seinen ZuhörerInnen in Europa über die Gefahr der Assimilierung spricht, dann verschweigt er, dass genau er selbst in der Türkei diese Politik betreibt. Alle jenen, die sein islamistisches Weltbild und seine Lebensweise nicht teilen, hat der den Krieg erklärt. Erdogan hat das zarte Pflänzchen, das anfänglich kolportierte Vorzeigeprojekt vieler westlicher Staaten von der Vereinbarkeit der Demokratie mit dem Islam, endgültig zum Scheitern gebracht. Seine Kompetenzen als Politiker hat der gelernte Buchhalter Erdogan längst überschritten, wenn er durch islamistisch geprägte, gesellschaftliche Lebensentwürfe ganze Stadtteile und Anlagen errichten lässt und in die Privatsphäre der Bevölkerung eingreift, indem er etwa Lebensgemeinschaften bespitzeln lässt oder Andersdenkende mit staatlichen Repressalien eindeckt. Von den zahlreichen politischen Gefangenen und JournalistInnen ganz zu schweigen. Der kürzlich erschienene Bericht von Amnesty International geht auch auf diese Verstöße ein. Eines von vielen Beispielen dafür lieferte der CNN-Berichterstatter Ivan Watson, welcher als aus der Türkei (Live Berichterstattung über die Entwicklungen am Taksim-Platz) de facto ausgewiesen wurde, weil ihn Erdogan als Spion und westlichen Kollaborateur verunglimpfte.
Die GastarbeiterInnen aus Europa haben zu dem Aufschwung in den Aufnahmeländern und in der Türkei beigetragen; dennoch haben sie den Bezug zu ihrem Herkunftsland nicht verloren. Selbstverständlich ist es wichtig, dass die Menschen und deren Kinder auch die türkische Sprache beherrschen und natürlich ist es wichtig, dass die Menschen die Möglichkeit zur Ausübung ihres Glaubens haben. Sicherlich gibt es in diesen Bereichen in Europa noch Verbesserungspotenzial, aber kaum ein größeres Problem.
In Österreich ist der Islam eine seit 1912 anerkannte Glaubensgemeinschaft. Türkischsprachige Kinder können in der Schule in ihrer Muttersprache Zusatzunterricht erhalten. Auf kulturell bedingte Essgewohnheiten wird in Kindergärten, Schulen und Krankenhäusern Rücksicht genommen. Die muslimischen Gläubigen können in zahlreichen Moscheen und Gebetshäusern ihre Religion ausüben. Von all diesen Rechten, für die in der Türkei lebenden vom sunnitisch geprägten Islam abweichenden Religionen, wie Christen und Aleviten sowie anderen Ethnien, ist die Türkei unter der Führung von der AKP und Erdogan noch meilenweit entfernt.
Würde ein anderes Staatsoberhaupt eine derartige Rede, wie sie Erdogan in Köln gehalten hat, in der Türkei vor tausenden deutschsprachigen Menschen halten und im Vorbeigehen den Präsidenten der AKP und Ministerpräsidenten Erdogan verunglimpfen, wie würde Erdogan und seine Anhängerschaft wohl reagieren? Verwüstete Privatwohnungen, Geschäftslokale und niedergebrannte Objekte von Deutschen und Österreichern könnten nicht ausgeschlossen werden. Derartige Vorgehensweisen sind den in der Türkei lebenden Minderheiten nichts Unbekanntes und sollten sich auch nicht wiederholen.
Die in Österreich lebenden, aus der Türkei stammenden Menschen – seien es Türken oder Kurden, Aleviten oder Sunniten – sind Teil unserer österreichischen Gesellschaft geworden. Die ÖsterreicherInnen haben zu Recht keine Lust und auch kein Verständnis dafür, dass die Politik des Herkunftslandes auf den Straßen Österreichs zu einer Polarisierung und Radikalisierung führt. Auch in der Türkei wird vielmehr eine politische Kultur, die von Respekt getragen wird, benötigt. Daher ist Erdogan angehalten, bei seinem bevorstehenden Österreichbesuch seine Worte mit größter Sorgfalt zu wählen und nicht - wie in Deutschland – die Repräsentanten unseres Landes zu verunglimpfen oder gar zu bedrohen. Rede- und Meinungsfreiheit in einer funktionierenden Demokratie bedeutet nicht, dass Andersdenkende unter dem Schutzmantel der Immunität diffamiert werden dürfen.
Die Zivilgesellschaft – von der Antifa bis hin zu demokratisch-gewerkschaftlich organisierten Gruppierungen – wird dazu aufgerufen friedliche Gegendemos zu organisieren, um dem nationalistisch-islamistischen Einflüssen im Sinne von “wehret den Anfängen” etwas entgegen zu halten. Die Türkei und Österreich pflegen seit Jahrzehnten einen intensiven Austausch auf wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlicher Ebene. Dieser Konsens darf nicht wegen des aktuellen, auf österreichisches Territorium ausgeweiteten türkischen Wahlkampfes, seitens der türkischen Regierung geopfert werden. Nicht nur die Türkei ist ein gastfreundliches Land sondern auch Österreich.
Wenn die Organisatoren des Wahlkampfauftrittes in Österreich nicht nur Erdogan eine große Freude bereiten möchten sondern auch den ÖsterreicherInnen, dann wäre das passende Gastgeschenk aus Österreich an den türkischen Ministerpräsidenten: Seine fanatischen Anhänger!