WELS. Der ehemalige Grüne Bundesrat Efgani Dönmez ist ein Kenner der türkischen Szene in Österreich. Er kritisiert immer wieder die Vorgehensweise der Politik und legt Finger tief in Wunden, zeigt aber auch Lösungsansätze an. Tips-Redakteur Gerald Nowak hat mit ihm gesprochen.
Tips: Der mißglückte Brandanschlag auf ein türkisches Vereinslokal in Wels. Provokant gefragt: Einzelfall oder werden innertürkische Konflikte jetzt in Oberösterreich ausgetragen?
Dönmez: Dieser Konflikt ist nicht plötzlich entstanden und auch kein Einzelfall von ein paar gelangweilten Jugendlichen, sondern schwelt seit Jahrzehnten. Aufgrund der Entwicklungen im Herkunftsland und dem Bürgerkrieg in den von mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebieten sowie einer nicht absehbaren politischen Lösung, eskaliert die Situation immer weiter. Es gibt unterschiedliche kurdische Gruppierungen mit unterschiedlichen Vorstellungen und Zielen. Vom eigenen kurdischen Staat auf türkischem Territorium bis weitreichende Autonomieforderungen ist die ganze Bandbreite an politischen Forderungen vorhanden. Es gibt neben der zivil-politischen Aktivitäten auch bewaffnete Gruppen, wie die PKK, welche als Terrororganisation eingestuft ist. Diese Gruppen haben auch in Europa und in Österreich Ableger, welche den Konflikt auch nach Österreich hereintragen. Abdullah Öcalan ist die charismatische Führungspersönlichkeit von Millionen von Kurden, aber nicht von allen. Öcalan sitzt seit seiner Entführung und Festnahme aus Kenia durch den türkischen Geheimdienst MIT und der CIA in Imranli im türkischen Hochsicherheitsgefängnis. Seine Person steht als Symbol für den Freiheitskampf, wie einst der Bauernanführer Stefan Fadinger. Er wird von vielen Kurden als Symbolfigur und Widerstandskämpfer wahrgenommen und von türkischer Seite als Terrorist und Staatsfeind Nummer Eins angesehen.
Tips: Wie beurteilen sie derzeitige Situation in Oberösterreich. Haben sich gewisse Vereine verselbstständigt?
Dönmez: Unser Vereinsrecht wird hier glasklar missbraucht. Viele Gruppierungen, insbesondere reaktionäre Vereine, agieren in Österreich unter dem Vereinsrecht oder treten als NGO in Erscheinung. Tatsächlich handelt es sich hierbei um politische Gruppierungen, welche als verlängerte Arme der Parteien im Herkunftsland in Österreich tätig sind. Mittlerweile hat auch unsere Politik erkannt, dass man diesen Missbrauch abstellen muss, ohne die wertvolle Arbeit der anderen Vereine zu tangieren.
Tips: Herr Dönmez, Sie kritisieren immer wieder, dass Jugendliche in Vereinen ideologisch aufgestachelt werden?
Dönmez: Viele dieser reaktionären Vereine und Gruppierungen investieren seit Jahren schon sehr viel in ihre Jugendarbeit. Diese Jugendlichen werden in den diversesten Vereinen auch ideologisch aufgestachelt und mobilisiert, um jeweils gegen die Andersdenkenden vorzugehen. Aus Europa und Österreich werden Jugendliche, nach einer militärischen Schulung, auch in Kampfgebiete oder zum Erledigen von bestimmten Aufträgen eingesetzt.
Tips: Die Politik und auch die Exekutive war schnell mit gleichlautenden Aussagen, dass man hart bei solchen Konflikten eingreifen wird. Sind das nur Lippenbekenntnisse, welche Aktivitäten müssen gesetzt werden?
Dönmez: Die Politik schießt meist immer aus der Hüfte, wobei den Entscheidungsträgern jegliche Hintergrundinformationen fehlen. Abhilfe könnte zum Beispiel ein Think Tank sein, der Informationen zusammenträgt und die Grundlagen für politische Entscheidungen liefert. Die Exekutive ist bemüht, aber mit der Situation ziemlich überfordert. Es fehlt an Personal mit muttersprachlichen Kenntnissen und die mangelnde Unterstützung seitens der Politik. Im Bereich des Rechtsextremismus hat die Exekutive eine Handhabe zum Durchgreifen. Bei Extremismus aus dem Migranten Milieu, bedarf es zuerst einer Straftat, damit die Behörden nach dem Strafgesetzbuch aktiv werden können. Der präventive Charakter ist absolut nicht gegeben.
Tips: In einem Interview sprachen sie davon, dass Vereine Migranten in ideologische Geiselhaft nehmen. Wie kann man dies aufbrechen?
Dönmez: Das was in den letzten Wochen und Tagen in Erscheinung getreten ist, ist nicht die Mehrheit der türkisch-, und kurdischstämmigen Bevölkerung in Österreich. Die meisten Migranten sind auch nicht in Vereinen aktiv oder über Vereine organisiert. Hier wird unberechtigter Weise zu viel Bedeutung den Migrantenvereinen unserer Politiker eingeräumt Diese lautstarke Minderheit nimmt die Mehrheit der Migranten, insbesondere jene die aus der Türkei kommen, in Geiselhaft und erzeugt, berechtigter Weise, Bilder der Ablehnung gegenüber derartig gewalttätigem Auftreten auf Österreichs Straßen. Deswegen ist es so wichtig, endlich die Spreu vom Weizen zu trennen und keine Beschwichtigungspolitik mehr zu betreiben.
Tips: Im Grund genommen geht es ja um Integration. Wo kann hier der Hebel generell angesetzt werden?
Dönmez: Man muss einsehen, dass man nicht alle integrieren kann. Die überwiegende Mehrheit der in Österreich lebenden Migranten möchte, so wie auch die Österreicher, ihre Ruhe haben, in die Arbeit gehen und eine gute Ausbildung für ihre Kinder. Vom Ausland aus gestützte reaktionäre Vereine und Gruppierungen betreiben aber eine allen Integrationsbestrebungen diametral entgegengesetzte Politik. Das gehört unterbunden und thematisiert ohne Pauschalisierungen bezüglich der Herkunft und Religionszugehörigkeit.
Tips: Sie haben ihre Diplomarbeit über Migrationsprobleme im Welser Wohngebiet geschrieben. Vor Monaten bekamen sie einen Auftrag der Stadtregierung ein Konzept für die Sprachförderung türkischstämmiger Kinder zu erstellen. Gibt es erste Ergebnisse und Vorschläge?
Dönmez: Die Ergebnisse dieser kleinen Erhebung sind sehr ernüchternd. Die fatale Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte spiegelt sich in den Institutionen, wie Kindergärten und Schulen wieder. Wie ist es sonst zu erklären, dass von 120 Kinder keine 5 Kinder österreichischer Herkunft in bestimmten Institutionen sind? Es ist primär immer eine soziale Frage und nicht die der Herkunft. Wenn in bestimmten Stadtteilen und Straßenzügen sozial Benachteiligte wohnen, werden jene die es sich leisten können aus weniger attraktiven Stadtteilen wegziehen und die es sich nicht leisten können, bleiben über. Daher ist die Konzentration von sozial Benachteiligten, welche wiederum überwiegend Migranten betrifft, in bestimmten Stadtteilen von Wels, samt den dazugehörigen Institutionen höher. Eine soziale Durchmischung im Wohnbau, durch unterschiedliche Wohnungsgrößen sowie Finanzierungsformen wären eine Möglichkeit die Situation längerfristig zu entschärfen