EFGANİ DÖNMEZ Projektmanagement – Abgeordneter zum Nationalrat a.D.

Wir können nicht alle integrieren

Efgani Dönmez war von 2008 bis 2015 Bundesrat, ehe er vom grünen Landesparteivorstand abgewählt wurde. Er ist aber weiterhin Mitglied der Grünen. Der 39-Jährige ist in der Türkei geboren und kam mit seiner Familie Ende 1976 nach Österreich. Er ist selbstständiger Konfliktberater, Sozial- und Integrationsexperte.

KURIER: Alle Ihre Warnungen über die türkische AKP und den politischen Islam sind eingetroffen. Verschafft Ihnen das ein Gefühl der Befriedigung? 

Nein. Wir haben in Österreich eine Politik, die reagiert statt vorausschauend agiert. Da ich mich mit den Themen schon länger beschäftige, habe ich gewusst, welche Netzwerke und Strukturen hier vorhanden sind, welche Agenda diese Gruppierungen verfolgen und dass das für das Zusammenleben in Österreich nicht besonders dienlich ist. Die Politik hat das immer negiert und beschwichtigt. Mittlerweile sind die Probleme unübersehbar.

Nun hat die Türkei ihren Botschafter abberufen und den österreichischen in Ankara einbestellt.

Es hat einerseits gute Kontakte gegeben. Eine Zeit lang war Österreich der stärkste Investor in der Türkei. Nun hat eine massive Entfremdung stattgefunden, die teilweise ganz bewusst von türkischen Vereinen betrieben wird. Von Vereinen, die als verlängerte Arme der türkischen Politik hier in Erscheinung treten. Ich habe darauf mehrmals in meiner aktiven Zeit als Politiker hingewiesen, aber das wollte keiner hören.

In der muslimisch-arabischen Welt wird das so dargestellt, dass die Muslime in Österreich derart diskriminiert werden, dass der türkische Botschafter zurückgezogen wurde. Man muss es zu Ende denken, was das bedeutet. Hier werden Wogen aufgeschaukelt, die Religion bekommt im öffentlichen Diskurs einen immer größeren Stellenwert. Sie wird benutzt, um die Konfliktlinien sichtbarer zu machen. Die politische Instrumentalisierung der Religion, der politische Islam ist eines der größten Probleme, die wir haben. Wir haben hier viele Ableger wie die Muslimbruderschaft, die von den arabischen Ländern unterstützt werden. Wir haben Gruppierungen wie die ATIB, die der türkischen Religionsbehörde sehr nahe stehen, oder auch nationalistische Gruppierungen wie die Milli Görüs. Über Vereine haben sie Moscheen gegründet und ihre Netzwerke ausgebaut. Über die Bildungsschiene hat sich die Gülen-Bewegung breitgemacht. Sie betreiben Kindergärten, Nachhilfeunterricht, Studentenheime etc.

Laut dem grünen Abgeordneten Hans-Christian Ströbele gibt es in Deutschland 6000 Informanten und Zuarbeiter des türkischen Geheimdienstes, die die türkische Gemeinde überwachen.

In Österreich gibt es sicherlich auch ein Netzwerk. Unsere Nachrichtendienste sollten sich auch mit diesem Thema befassen. Es ist unübersehbar, dass hier zu Denunziantentum gegen Gülen- und Erdoğan-kritische Leute aufgerufen wurde. Damit wird das Zusammenleben gefährdet.

Sollten die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abgebrochen werden?

Diese Türkei unter Erdoğan mit ihrer islamistischen Agenda hat in der europäischen Wertegemeinschaft nichts verloren. Da braucht man nicht zuwarten, ob die Todesstrafe eingeführt wird oder nicht. Die Türkei wollte der EU nie ernsthaft beitreten. Sie hat die Verhandlungen dazu benutzt, die starke Rolle des Militärs zu schwächen. Gleichzeitig war die EU nie aufrichtig und ehrlich. Die Türkei hätte bei einem Beitritt mit einem Schlag mindestens genau so viele Abgeordnete im Europaparlament wie die Deutschen. Das heißt, man würde der Türkei ein intensives politisches Mitspracherecht in die Hand geben. Daran hat niemand ein Interesse.

Wie soll Österreich auf die Einflussnahme anderer Staaten über die hiesigen muslimischen Vereine reagieren?

Die Politik braucht Grundlagen für ihre Entscheidungen. Hier braucht es einmal Wissen. Das ist nicht vorhanden. Man müsste einmal zusammenfassen, welche Gruppierungen es hier gibt, welche Agenda sie verfolgen und wie sie vernetzt sind. Auch mit den politischen Akteuren.

Das heißt, dass die Regierungsstellen über die Situation nicht Bescheid wissen?

Die gesamte politische Landschaft weiß nicht Bescheid. Hier braucht es einmal Fakten. Darauf aufbauend sollen die Regierung und die Parteien ihre Positionen erarbeiten. Die Hintergrundinformationen fehlen. Was passiert, sind Hüftschüsse. Das ist aber ein Flickwerk, dahinter steht keine Strategie. Ich weiß nicht, welche Berater im Umfeld der Regierung und der Parteien tätig sind. Diese sind entweder blind oder sie sagen nur das, was die Politiker hören möchten. Denn es ist ja unübersehbar, was sich hier zusammengebraut hat und welche Netzwerke wir haben. Dennoch wird immer nur beschwichtigt.

Ist die Integration der Türken gescheitert?

Wenn man sich die Zahlen und unterschiedlichen Statistiken ansieht, dann ergeben sie kein positives Bild. Die Arbeitslosigkeit ist höher, die Bildungsabschlüsse sind im unteren Bereich angesiedelt, die Frauenbeschäftigung ist extrem niedrig. Obwohl die Türken jene Gruppierung sind, die am längsten in Österreich ist und die die meisten sogenannten Kulturvereine hat.

Liegt es an der Mentalität der Menschen?

Nein, die Türken sind sehr fleißige Menschen. Bildung hat auch einen hohen Stellenwert. Aber wir haben uns in den 1960er- und 1970er-Jahren sehr bildungsferne Schichten nach Österreich geholt. Die Arbeitswelt und die Lebensumstände haben sich in den vergangenen 50 Jahren massiv verändert. Aber das ist in den Köpfen der Menschen nur vereinzelt angekommen.

Gleichzeitig gibt es Ausgrenzungserfahrungen. Das darf man nicht unterschätzen. Zum Beispiel wird türkischstämmigen Jugendlichen der Zutritt zu Lokalen verweigert. Sie müssen sich viel öfter um Anstellungen bewerben. Das ist auch Realität. Ich kenne türkischstämmige junge Menschen, die hier aufgewachsen sind und keinen Job bekommen. Sie sind in die Türkei zurückgegangen und sind dort mit offenen Armen aufgenommen worden.

Welche Maßnahmen sollte man in der Integration ergreifen?

Zu erkennen, dass man nicht alle integrieren kann. Man sollte jene, die leistungswillig sind und sich in die Gesellschaft einbringen, unterstützen. Und jenen sagen, die das nicht wollen, danke, auf Wiederschauen. Diese Klarheit gibt es nicht. Wir haben beim Asyl Anerkennungen, aber fast keine Aberkennungen. Wenn jemand Asyl bekommt, ist das ein Dauerticket, auch wenn sich die Situation im Herkunftsland beruhigt.

Weiters haben wir viele Communities entstehen lassen, in die wir null Einblick haben. Wir wissen nicht, was bei den Tschetschenen abgeht, was bei den Afghanen abgeht, wir wissen nicht, was sich bei den Syrern zusammenbraut.

Ich habe zehn Jahre mit Flüchtlingen gearbeitet. Man muss die Realität sehen. Was tut man mit den vielen nichtqualifizierten Leuten? Man kann sie in einer Hochleistungsgesellschaft nur ganz, ganz schwer an den Arbeitsmarkt heranführen. Wie soll das bei einem funktionieren, der die Sprache nicht kann, der möglicherweise eine völlig andere Einstellung zur Arbeit hat und über keine Ausbildung verfügt? 80 bis 90 Prozent der Afghanistanstämmigen sind Analphabeten. Deshalb müssen wir die Zuwanderung regulieren. Dann gibt es Vorschläge wie die Ein-Euro-Jobs. Wir wissen aus Deutschland, dass sie kontraproduktiv sind. Jede Arbeit muss Sinn machen, sonst halten die Leute das nicht durch.

(kurier) Erstellt am 

https://kurier.at/chronik/oberoesterreich/wir-koennen-nicht-alle-integrieren/218.059.405

Von Efgani Dönmez
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