EFGANİ DÖNMEZ Projektmanagement – Abgeordneter zum Nationalrat a.D.

Je “dunkler” man ist, umso mehr muss man leisten

Efgani Dönmez ist kein klassischer Grüner. Wäre auch zynisch, haben ebenjene den 39-jährigen Politiker doch vor genau einem Jahr aus dem Bundesrat abgewählt. »Querdenker sind hier anscheinend nicht erwünscht«, hieß es damals von ihm.

Im Gespräch mit Kopf um Krone spricht Dönmez von Haus- und Hoftürken, kopftuchtragenden Richterinnen und Bundeskanzlern mit Migrationshintergrund. Grundtenor: »Es geht den Bach hinunter«.

Lesezeit: 27 Minuten

Muamer Becirovic: Wie oft hast du von deinen Eltern den Satz gehört: »Du musst das Doppelte leisten, um so wahrgenommen zu werden, wie ein Einheimischer!«

Efgani Dönmez: Das habe ich von meinen Eltern noch nie gehört. Das, was ich von meinen Eltern gehört habe, ist, dass ich lernen solle, damit aus mir einmal etwas wird, um nicht – so wie mein Vater – mein Leben lang als Hilfsarbeiter meinen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen. Das heißt, dass die Stellung der Bildung bei uns zuhause eine sehr hohe war – nach wie vor eine sehr hohe ist. Aber das, was du mir jetzt als Frage gestellt hast, habe ich im Laufe der Zeit selbst durch Erfahrung erlernt – sei es in der Schule, am Arbeitsplatz oder auch in der Politik.

Becirovic: Würdest du sagen, dass der Satz stimmt?

Dönmez: Er stimmt auf jeden Fall. Ich glaube, dass dieser Satz unser »Schicksal«, unser »Los« verkörpert. Je »dunkler« jemand ist, umso mehr muss er wahrscheinlich leisten, um auch nur annähernd die gleichen Chancen zu bekommen, wie – sagen wir mal – der durchschnittliche, autochthone Österreicher.

Becirovic: Woran liegt das? Liegt es daran, dass viele denken: »Der hat’s nicht drauf«? Oder werden Einheimische eher bevorzugt als andere?

Dönmez: Ich gebe dir ein anderes Beispiel: Ich habe von einem Bekannten in Oberösterreich gehört, dass in einer bestimmten Stadt unter den Wirtschaftstreibenden der Aufruf gemacht worden ist, österreichische Arbeitssuchende gegenüber ausländisch-stämmigen vorzuziehen, da »wir eh genug Arbeitslose« hätten. Das bedeutet doch, dass am Arbeitsmarkt ein anderer Maßstab bei den Migranten angesetzt wird, als bei Einheimischen. Die Arbeitslosenzahlen legen das nahe. Von Arbeitslosigkeit sind Personen mit Migrationshintergrund verhältnismäßig stärker betroffen als jene ohne – nicht nur weil sie in gewissen Branchen eine geringere Qualifikation haben, sondern oftmals alleine aufgrund ihrer Herkunft. Der Leitgedanke der Sozialpartner war ja auch immer davon getragen, den österreichischen Arbeitsmarkt vor ausländischen Arbeitskräften zu schützen, deswegen gibt es diese immer restriktiveren Arbeitsmarktzugangsbestimmungen. Letztendlich hat dies dazu geführt, dass die Besserqualifizierten, die wir haben wollen und brauchen, einen Bogen um Österreich machen.

Becirovic: Du kennst doch sicherlich auch Menschen mit Migrationshintergrund, die sich hochgearbeitet haben und dennoch das Gefühl haben, dass sie nicht wie ein Einheimischer gleichbehandelt werden.

Dönmez: Es gibt schon so etwas wie eine gläserne Decke. Das habe ich zum Beispiel in der Politik erlebt. Da wird jemandem eine bestimmte Funktion zugeschrieben und solange er sich in diesem abgesteckten Bereich bewegt, ist alles in Ordnung. Dann ist man sozusagen der »Vorzeigetürke«, »Lieblingstürke« oder auch der »Haus-, und Hoftürke«. Schwierigkeiten gibt es dann, wenn man versucht diese vorgegebenen Grenzen zu durchbrechen.

Becirovic: In den Interviews von dir, die ich gelesen habe, findet sich oftmals Kritik an Migranten. Vor allem deine »One Way-Ticket zurück in die Türkei«-Aussage ist sehr einprägsam.

Dönmez: Da muss ich wohl etwas »konkretisieren«: »One Way-Tickets« war nicht gegen Migranten gerichtet, schon gar nicht gegen türkisch- oder kurdischstämmige, sondern war ganz spezifisch auf die Pro-Erdogan-Demonstrationen bezogen, bei denen in Wien »Wir sind die Soldaten Erdogans und die Enkel von Sultan Yavuz Süleyman!« skandiert wurde. Dagegen muss man klare Worte finden! Wenn sich jemand als Soldat eines anderen Staates empfindet, dann darf man durchaus kritisch sein. Meine Kritik war damals genau in diesem Zusammenhang an dieses Zielpublikum gerichtet.

Becirovic: Verstehe. Aber nimmst du nicht eine ziemlich gemütliche Position ein, wenn du das sagst, was ohnehin schon die Mehrheitsmeinung ist?

Dönmez: Gemütlicher wäre es, im Mainstream mit zu schwimmen und das zu sagen, was von einem erwartet wird. Selbstverständlich ist das dann auch für das politische Vorankommen förderlich und dienlich. Und ich bin nie diesen leichten Weg gegangen. Mit dieser Einstellung steht man leider oft alleine dar. Ich habe immer versucht, Dinge selbst zu hinterfragen und mir eine Meinung aus unterschiedlichen Standpunkten und Perspektiven zu bilden. Deswegen habe ich auch teilweise sehr konträre Zugänge, das gebe ich gerne zu. Man erwartet von einem Migranten ja regelrecht, dass er sich für Migranten, in meinem Fall insbesondere für Muslime, einsetzt und die »türkische Opferrolle« bespielt …

Becirovic: Genau! Wieso nicht? Du stichst ja mit deiner Kritik an der muslimischen Bevölkerung deutlich hervor.

Dönmez: Ich habe die Muslime nie kritisiert. Ich stehe zu 100 Prozent hinter dem, was ich immer thematisiere und kritisiere. Ich betone es auch in diesem Gespräch nochmals deutlich, dass ich  die Instrumentalisierung und der Missbrauch einer Religion für politische Zwecke und nicht die Anhänger einer Religionsgemeinschaft kritisiere. Das ist ein wesentlicher Unterschied! Das, was wir jetzt teilweise in Europa und in Österreich sehen, sind Auswüchse des politischen Islams. Ich gebe dir ein Beispiel: Es steht nirgendswo im Koran, im Heiligen Buch der Muslime, dass ein Mann einer Frau nicht die Hand geben dürfe. Wir hingegen haben hier mittlerweile Zustände, wo so etwas mithilfe der Toleranz gegenüber Religion und Religionsfreiheit verharmlost wird. Das hat aber nichts mit dem Islam zu tun. Derartiges muss man thematisieren, differenzieren und aufzeigen.

© Jon Doe

Becirovic: Was ist denn für dich das grundlegende Problem der Integrationsdebatte? Auf der einen Seite habe ich das Gefühl, dass Einheimische durchaus offen gegenüber Migranten sind, auf der anderen Seite habe ich wiederum den Eindruck, dass sie nie ankommen werden. Blenden wir mit bestimmten Debatten – wie zum Beispiel der Diskussion rund um das Kopftuch – nicht das Wesentliche aus? Ist es der Integration dienlich, einer Frau ihr Kopftuch abzusprechen, auch wenn sie studiert hat, perfekt Deutsch spricht, Steuern zahlt und zur Gesellschaft konstruktiv beiträgt? Ist es gerechtfertigt zu sagen, dass diese Frau – bloß weil sie ein Kopftuch trägt – in den Augen der Mehrheitsbevölkerung niemals in Österreich ankommen wird?

Dönmez: Die Integrations- und Migrationsthematik wird entscheidend durch jene Dinge geprägt, die einem als erstes ins Auge springen. Es beeinflusst die Debatte, wenn jemand anders aussieht oder sich anders kleidet. Das sind aber Sicht- und Denkweisen, von denen wir uns im 21. Jahrhundert eigentlich verabschieden sollten. Es kommt – meiner Meinung nach – nicht darauf an, woher jemand kommt, von wem er abstammt. Uns eint, dass wir unsere Zukunft und unser Zuhause in Österreich haben. Jeder hat unterschiedliche Wurzeln, ich auch. Doch das Wesentliche sind die gemeinsamen Werte und Haltungen, für die wir zusammen eintreten sollten. In erster Linie sind das die Werte der Aufklärung, die jahrhundertelang hart erkämpft wurden. Diese Werte darf man nicht leichtfertig am Alter der falsch verstandenen Toleranz opfern. Es bedarf hier an Klarheit. Viele soziale Themen werden heutzutage derart von Migrationsthemen überlagert, dass sie in der öffentlichen Wahrnehmung mitunter gänzlich untergegangen sind. Schau‘ dir nur einmal den 10. Bezirk an (Wien-Favoriten; Anm.). Dieser Bezirk wirkt zunächst wie ein Schmelztiegel der Kulturen. Wenn man etwas genauer hinschaut, erkennt man, dass hier eine bestimmte soziale Schicht konzentriert ist. Jeder, der es sich leisten kann, wohnt nicht im Zehnten, sondern zieht woanders hin. Es ist eine soziale Frage, die nicht beim Migrationshintergrund endet. Es ist eine Frage der finanziellen Möglichkeiten. Es ist unerheblich, ob derjenige, der wegzieht, türkisch- oder kroatischstämmig ist. Wer kann, zieht weg. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es im Kern großteils soziale Themen sind.

Becirovic: Man muss aber sagen, dass das nicht der allgemeine Zugang ist.

Dönmez: Das stimmt. Das ist nicht die Diskussion, die in der Öffentlichkeit geführt wird. Jedoch ist das eigentlich das, worum es geht.

Becirovic: Und wie sieht es mit dir persönlich aus? Hast du das Gefühl, dass du hier angekommen und willkommen bist? Wenn ich zum Beispiel mit meiner Mutter, die ein Kopftuch trägt, auf die Straße gehe, überkommt mich schon ein mulmiges Gefühl. Ein Kopftuch würde ich an ihrer Stelle nicht tragen.

Dönmez: Meine Großmutter trägt auch ein Kopftuch, aber sie lebt in der Türkei. Ob eine Frau ein Kopftuch trägt oder nicht, ist ihre höchstpersönliche Entscheidung. Zwischen Gott und dem Menschen kann, soll und darf sich niemand dazwischen stellen – nicht einmal der Prophet (Mohammed; Anm.). An dieser Stelle ist es aber wichtig zwischen den einzelnen Formen der Verhüllung zu unterscheiden. Die Verschleierung mit der Burka, die nichts anderes als den Versuch darstellt, die Frau im öffentlichen Raum unsichtbar zu machen, geht meines Erachtens nach zu weit. Das ist für mich dann nicht mehr in Ordnung.

Becirovic: Würdest du der Aussage zustimmen, dass bei einem Burka-Verbot, das Verbot des Kopftuches nicht weit entfernt ist?

Dönmez: Das sehe ich nicht so, da es einen Unterschied macht, ob man komplett verschleiert ist und das Gegenüber einem nicht mehr ins Gesicht schauen kann oder ob eine Frau aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt. Interessant ist die Tatsache, dass in der Generation deiner und meiner Eltern die Verhüllung sowohl in deren Herkunftsländern als auch in Österreich ein eher untergeordnetes Phänomen war. Sprich: Hier hat eine politische Einflussnahme stattgefunden, die das eigentliche Problem ist. Mit der politischen Instrumentalisierung einer Religion kann man Geschäfte machen. In Österreich, gerade in Wien, lassen sich Entwicklungen ungekannten Ausmaßes ausmachen – das reicht von Helal-Zertifikaten hin zum Islamischen Bankwesen. Hier werden mit religiösen Gefühlen Geschäften gemacht. Das ist das, was wir eigentlich thematisieren sollten. Und ich glaube, dass das die Menschen auch zu Recht stört.

Becirovic: Du kritisierst also die Bildung von Parallelgesellschaften?

Dönmez: Es gibt gewisse Parallelbildungen. Die kommen zustande, wenn ich in einem anderen Land für einige Zeit leben kann, ohne dabei die hiesige Sprache gut können zu müssen und glaube, dass es in Ordnung ist, einer Frau die Hand bei einer Begrüßung zu verweigern. Da muss ich ganz klar sagen: Nicht bei uns! Das ist nicht die Gesellschaft, die wir haben wollen. Solche Entwicklungen lassen sich auch nicht mit religiöser Freiheit und Toleranz entschuldigen. Das sind Auswüchse von politisch instrumentalisierenden Institutionen, die schrittweise versuchen, ihre eigenen Agenden zu durchzusetzen.

Becirovic: Du kennst vielleicht das »Islamische Realgymnasium« im 15. Bezirk (Wien-Rudolfsheim-Fünfhaus; Anm.). Dort habe ich maturiert. Neben dieser Schule befindet sich die »Islamische Föderation«. Sie ist der größte Verband von Muslimen in Österreich. Interessanterweise habe ich aber nie das Gefühl gehabt, dass mir jemand eine gewisse religiöse Sicht oder irgendeinen politischen Willen aufzwingen wollte. Wäre dem so gewesen, wäre ich wohl kaum mit 16 Jahren in der ÖVP gelandet. Doch obwohl die Schule praktisch einen 100%igen Migrationsanteil hat, traue ich mich nicht zu sagen, dass die dortigen Schüler ihren Kopf zwar in Österreich, ihr Herz aber woanders haben.

Dönmez: Das schafft ja eine gewisse Schizophrenie, die meines Erachtens nicht gut für die Persönlichkeitsentwicklung sein kann. Es ist doch kein Widerspruch, wenn man selbstbewusst feststellt: »Ich bin muslimischen Glaubens und Österreicher!« Ebenso wenig ist es ja nicht falsch, wenn man sagt: »Du und ich – wir tragen Verantwortung für Österreich, aber auch für unser Herkunftsland.« Der springende Punkt dabei ist, dass man versuchen muss, Brücken zu schaffen – zwischen den Kulturen, Religionen und Ethnien dieser Welt. Wie kann man das am besten machen? Indem man über beide Seiten gut Bescheid weiß, indem man sich sowohl in die eine als auch in die andere Position hineinversetzen kann – sei es nun auf sprachlicher Ebene oder im Denken. Das bereichert uns alle und erweitert unseren Horizont ungemein. Wenn ich aber nur eindimensional unterwegs bin, dann wird es zwangsläufig Probleme geben. In Oberösterreich bin ich mittlerweile Zeuge von etlichen Familien geworden, deren Kinder in Österreich aufgewachsen sind, in zweiter oder dritter Generation hier leben und dennoch kein vernünftiges Wort Deutsch können, wenn sie in den Kindergarten kommen.

Becirovic: Das ist erschreckend.

Dönmez: Das ist aber die Realität.

Becirovic: Ich frage mich, inwieweit man hier die Verantwortung bei den muslimischen Verbänden suchen kann. Ich habe schon den Eindruck, dass sie versuchen, soviel Einfluss wie möglich zu gewinnen. Es ist kaum bestreitbar, dass viele von ihnen maßgeblich von türkischer Seite beeinflusst, wenn nicht sogar gesteuert werden. Dass die Verbände so keine Probleme lösen werden, ist klar. Solange sich ein Großteil der Mitglieder lediglich in den verbandseigenen Strukturen bewegt, die Kinder in die eigenen Schulen und Kindergärten schickt, ergeben sich kaum Schnittstellen nach außen, die der Integration dienlich sein könnten.

Dönmez: Es ist meiner Meinung nach ein großer Fehler unserer Politik, dass sie den unzähligen Verbänden eine zu große Bedeutung und Rolle beimisst. Es wird außer Acht gelassen, dass viele Migranten gar nicht in Verbänden oder Vereinen organisiert sind. Als bestes Beispiel dazu dient die IGGiÖ (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich; Anm.), die als offizielle Vertretung der österreichischen Muslime anerkannt ist und sich jahrzehntelang immer irreführender Weise als die einzige Vertretung aller Muslime nach außen positioniert hat. Wie viele haben sich an ihrer letzten Präsidentenwahl (am 16. Juni 2016; Anm.) beteiligt? Soweit ich richtig informiert bin, waren es keine 30%.

Becirovic: Aber sie sind nun mal ein offiziell legitimiertes Sprachrohr.

Dönmez: Ja, und das ist eine politische Entscheidung. Es ist wichtig zu fragen, ob ich die Aufgeklärten, die Menschen mit einer säkularen Einstellung, die sich auch zu den Werten hier bekennen, vor den Vorhang hole oder ob ich reaktionär-nationalistische Gruppierung bediene, so wie es die SPÖ in Wien oftmals macht. Wie du siehst, es ist eine politische Entscheidung. Diesbezüglich sind die Würfel gefallen. Die SPÖ hofiert und bedient diese nationalistisch-islamistischen Kräfte seit Jahrzehnten – siehe Linzer Bürgermeister (Klaus Luger, SPÖ, *1960; Anm.) oder gewisse andere Wiener Persönlichkeiten.

Becirovic: Aber nur um diese Gruppen als Stimmvieh bei der Stange zu halten.

Dönmez: Natürlich. Es gibt hier Erwartungshaltungen bei den Verantwortlichen. Diese Gruppen sind straff organisiert und können innerhalb kürzester Zeit viele Wähler mobilisieren. Es ist ein Geben und Nehmen. Dass die Partei dadurch längerfristigen Schaden erleidet, möchten die jeweiligen Herrschaften nicht zur Kenntnis nehmen. Schau dir einmal die jüngsten Wählerbewegungen an: Was die SPÖ verliert, gewinnt die FPÖ fast eins zu eins dazu.

© Jon Doe

Becirovic: Am Ende des Tages muss man dennoch mit den größten Verbänden reden.

Dönmez: Es sagt ja niemand, dass man mit denen nicht reden soll. Das hat ja niemand behauptet.

Becirovic: Ich verstehe, wieso du den ausländischen Einfluss auf die Verbände kritisierst. Aber ich glaube schon, dass sich dieser mit der Zeit allmählich zurückstellt.

Dönmez: Wieder ein Beispiel von der IGGiÖ: Wer hat die jüngste Präsidentenwahl gewonnen?

Becirovic: Einer aus der Türkei (Ibrahim Olgun, *1988; Anm.).

Dönmez: Aus welcher Gruppierung?

Becirovic: Aus der ATIB (türk. Avrupa Türk-İslam Birliği – Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa; Anm.), aus der Türkei.

Dönmez: Wem untersteht die ATIB?

Becirovic: Der türkischen Regierung …

Dönmez: … und der türkischen Religionsbehörde. Das heißt, wir haben hier einen unübersehbaren Einfluss. Und das nicht nur bei den Türken, sondern auch bei der Moslembruderschaft …

Becirovic: Sind die so groß?

Dönmez: Groß nicht, aber mächtig.

Becirovic: (verdutzt, erstaunt) Wirklich?!

Dönmez: Die haben selbstverständlich ihre eigenen Interessen und Ziele. Sie leben vom Spagat zur Mehrheitsgesellschaft. Diesen versuchen sie auch aufrecht zu erhalten, da sie von diesem ihre eigene Existenzberechtigung ableiten. Wie kann es sonst sein, dass wir in Österreich Jugendliche haben, die hier in dritter, vierter, teils fünfter Generation leben und physisch zwar hier, geistig aber komplett woanders sind. In diesen Vereinen und Gruppierungen unterlaufen sie eine ideologische Grundschulung. Doch es verlangt ja keiner von ihnen, dass sie ihre Kultur ablegen sollen, dass sie ihre Liebe zu ihrem Herkunftsland verleugnen sollen. Im Gegenteil: Das ist das Beste, was Österreich passieren kann. Wenn wir Jugendliche haben, die auch in ihrer Herkunftskultur und Religion Wurzeln geschlagen haben, dann können sie hier als Brücke fungieren. Man darf aber nicht glauben, dass man mit grölendem Schwingen einer fremden Flagge auf Wiens Straßen Sympathien erweckt und dass Derartiges für das gute Zusammenleben förderlich ist. Zu solchen Erscheinungen muss ich den Betreffenden ausrichten: Entweder wisst ihr nicht, was ihr tut oder ihr seid einfach nur saudumm! Mit solchen Aktionen repräsentiert man keine Kultur, kein Land und keine Religion.

Becirovic: Das sehe ich genauso. Das Problem dabei ist, dass die betreffenden Kreise solche Sachen nicht als Problem ansehen.

Dönmez: Ja, warum ist das so? Der Islam, so wie ich gelernt, verstanden und vermittelt bekommen habe, wird von diesen Gruppen nicht gelebt. An mehreren Stellen, an mehreren Suren im Koran heißt es: Benutze deinen Verstand! Benutze deine Vernunft! Bilde dich weiter! Passe dich an die Umgebung an, in der du bist! Doch wo passiert das? Gerade weil diese Aufforderungen nicht beherzigt werden, sind viele muslimische Länder in der Situation, in der sie gerade sind. Das zeigt, dass die muslimischen Länder nicht so muslimisch sind, wie es viele vielleicht glauben wollen.

Becirovic: Vielleicht befinden sich diese Leute in einer Art Identitätsfindungsphase. Ich hatte sie ehrlich gesagt auch schon selbst. Oft habe ich mich gefragt, was und wer ich bin. Bin ich Bosniake? Bin ich Österreicher? Bin ich beides? Diese Fragen haben in mir einiges in Gang gesetzt. Ich glaube deshalb, dass die Verbände, die du zu Recht kritisierst, gerade einen Generationenwechsel durchmachen – im positiven Sinne, wie ich meine. Ich bin schon der Ansicht, dass die Jüngeren aufgeschlossener als deren Eltern sind.

Dönmez: Das mag schon sein. Aber das ist mir ehrlich gesagt viel zu langsam und viel zu wenig.

Becirovic: Das stimmt, das sehe ich auch so.

Dönmez: Ich kritisiere nicht alle Vereine. Es gibt ja auch Vereine und Gruppierungen, die im Bildungsbereich, im kulturellen Bereich hervorragende Arbeiten leisten. Aber es gibt eben auch nationalistisch-islamistische Gruppierungen und Verbände, die eine unseren Integrationsbestrebungen entgegengesetzte Politik betreiben. Das ist ein Faktum.

Becirovic: Aber ich sehe kein Lösungsrezept dafür. Ich bin der Meinung: Die Älteren gewinnt man sowieso nicht, also muss man an die Jüngeren heran.

Dönmez: Es gibt eine Möglichkeit. Nur da traut sich die Politik noch nicht. Aber es haben sich schon einzelne Stimmen aufgetan, die es erkannt haben. Die Frage, die man sich stellen muss, lautet: Wie sind diese Vereine organisiert? Über das Vereinsrecht. De facto sind das jedoch keine Vereine mehr, sondern politische Parteien. Hier wird unser Vereinsrecht mit Füßen getreten. Dem gehört ein Riegel vorgeschoben. Es ist eine politische Willensentscheidung, ob ich zuschauen möchte, wie politische Parteien mit vielen Vereinen, die großartige Arbeit im sportlichen, karitativen, humanitären Bereich erbringen, gleichgesetzt werden. Es bedarf einer Handhabe gegen jene Vereine und Gruppierungen, die glauben, das Recht zu haben, Politik ihres Herkunftslandes nach Österreich bringen zu können. Wer sich politisch betätigen will, soll dies als politische Partei machen und nicht über das Vereinsrecht. Das ist ein klarer Missbrauch – und unsere Politiker schauen dabei noch zu.

Becirovic: Hast du das Gefühl, dass sie politisch tätig sind?

Dönmez: Es werden Abgeordnete eingeflogen, Wahlkampfveranstaltungen in Österreich abgehalten – für die Türkei zum Beispiel. Das ist unübersehbar.

Becirovic: Aber qualifizieren solche Dinge als eine politische Organisation? Ich bin mir da nicht so sicher. Das bloße Einfliegen eines Abgeordneten reicht für mich nicht. Politisch ist eine Organisation dann, wenn sie sagt: »Wir schicken einen Abgeordneten hin, der das sagt, was wir ihm gesagt haben.«

Dönmez: Ein ganz konkretes Beispiel: 2013 und 2015 – als Wahlen in der Türkei waren. Es wurden aus der Türkei Abgeordnete der verschiedenen Parteien von den hier tätigen Vereinen und Verbänden nach Österreich eingeladen. Die haben hier dann Wahlkampfpropaganda betrieben, die natürlich Auswirkungen auf das Zusammenleben in Österreich hat.

Becirovic: Stimmt. Man muss aber zugeben, dass diese Vereine eine große Zahl an Mitgliedern haben. Wenn du morgen sagst, dass du der ATIB einen Riegel vorschiebst, wirst du ein großes Problem mit fast der gesamten türkischen Gemeinschaft hier haben.

Dönmez: Probleme wird es dann nicht nur mit der türkischen Gemeinschaft geben, sondern mit dem gesamten religiösen Spektrum. Hier findet ein enger gruppen- und konfessionsübergreifender Zusammenschluss statt. Niemand sägt den Ast ab, auf dem man sitzt. Diese Überlegung führt auch zu teils ganz engen Kooperationen zwischen katholischen Kirchenvertretern und reaktionären Islamverbänden. Es gibt sogar eine Presseaussendung, in der eine Ordensfrau das Burka-Verbot ganz heftig abgelehnt hat.

Becirovic: Ich glaube, dass es primär um ein Zusammenhalten der Religionen geht. Wenn du dich an die Beschneidungsdebatte erinnerst, hat die jüdische Gemeinde den Muslimen damals auch den Rücken gestärkt, weil sie höchstwahrscheinlich sonst selbst unter Beschuss geraten wären. Das ist in diesem Fall genauso. Es geht anscheinend die Sorge um, dass die Religion allgemein aus dem öffentlichen Raum verbannt werden könnte.

Dönmez: Das ist eben der falsche Ansatz, der in der Türkei unter anderem die islamistischen Kräfte massiv gestärkt hat. Es geht nicht darum, Religion zu verbieten, sondern sie vom Staat zu trennen. Die Muslime brauchen primär keinen interreligiösen Dialog, sondern einen intrareligiösen Austausch im Islam, um so die jahrhundertealte Feindschaft zwischen Sunniten und Schiiten mithilfe eines sachlichen Diskurses aufarbeiten zu können. Es müssen Fragen zugelassen werden, die momentan in vielen islamischen Ländern denkunmöglich sind. Wir haben in Europa dank der Freiheit in der Lehre und Wissenschaft, die Möglichkeit Fragen zu stellen, die sich in muslimischen Ländern niemand stellen traut. Das bedeutet, dass wir von Europa aus massive Impulse aussenden, die Diskussionen in Gang setzen und dabei eine Vorreiterrolle in gewissen Belangen einnehmen könnten, um die theologische Auseinandersetzung im Islam voranzutreiben. Wir haben in Österreich derzeit leider Strukturen, die – statt sich nach vorne zu orientieren – bestenfalls stehenbleiben und es verabsäumen mit der Zeit zu gehen. In Österreich gibt es seit 1912 das Islamgesetz, mit dem der Islam als staatlich anerkannte Religion existiert. Damals wie heute schaffen es die offiziellen Vertreter der Muslime nicht, der Mehrheit der Österreicher zu erklären, für welche Vorstellungen der Islam steht und für welche nicht. Man hat viel mehr den Fokus auf äußerliche Symbolik gelegt und damit die geistige Verarmung in der islamischen Glaubensgemeinschaft ermöglicht. Ich glaube, dass man dieses Problem aufgreifen kann, um anschließend eine klare Linie einzufordern, wie sie schon von manchen Aufgeklärten vertreten wird. Mouhanad Khorchide (österreichischer Soziologe und Islamwissenschaftler, *1971; Anm.) war zum Beispiel in Österreich in der IGGiÖ tätig. Was ist dann geschehen? Er hat manchen Leuten vor den Kopf gestoßen, hat dann seine Lehrbeauftragung samt seiner Existenzgrundlage in Österreich verloren und war gezwungen nach Deutschland gehen. In Münster wirkte er dann beim Aufbau des »Centrum für Religiöse Studien« (CRS) an der Westfälischen Wilhelms-Universität mit. Heute ist er ein gefragter Experte. Doch sind die Absolventen der Universität Münster in der muslimischen Glaubensgemeinschaft in Deutschland willkommen? Nein, sind sie nicht. Warum nicht? Weil die Verbände ihren Einfluss nicht hergeben wollen, weil sie wissen, dass sie sonst an Einfluss verlieren würden. Gerade deshalb akzeptieren sie niemanden, der in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert ist, Deutsch spricht und eine islamisch-theologische Ausbildung in Deutschland durchlaufen hat. Daher ist es von großer Bedeutung, dass die Gesellschaft erkennt, wie immens wichtig es ist, diese aufgeklärten Leute zu unterstützen.

Becirovic: Liegt es wirklich am Einfluss? Oder sind es nicht einfach religiöse oder ideologische Unterschiede?

Dönmez: Es sind keine religiöse, sondern ideologisch-politische Einflussnahmen.

Becirovic: Ich kann mir nicht vorstellen, dass man einen derart großen politischen Einfluss auf die Leute hier haben kann.

Dönmez: Wieder ein Beispiel: Wir fangen mit der Türkei an und kommen dann zu Österreich. 2013 fanden in Istanbul die Gezi-Park-Demonstrationen statt. Die politischen Akteure, die heute an der Macht sind, sagten damals, dass jeder, der auf die Straße ginge, ein Volksverräter sei. Sie haben die Leute aufgerufen, zuhause zu bleiben. Beim versuchten Militärputsch am 15. Juli 2016 appellierte die Religionsbehörde an alle Imame, Aufrufe zu starten, die die Leute dazu bringen sollten, auf die Straßen zu gehen, um »die Demokratie zu retten«. Als in Österreich der türkische Wahlkampf 2013 stattfand, wurden Moscheen als Wahllokale für die türkische Parlamentswahl genutzt. In einer Moschee hat Politik nichts verloren. Religion und Politik dürfen nicht vermischt werden.

© Jon Doe

Becirovic: Am Ende des Tages stellt sich dann die Frage, ab wann ich zwischen Religion und Politik trenne. Denn auch in Österreich werden Kirchen hin und wieder zum Schauplatz der Politik.

Dönmez: Ich kenne keine Wahlkampfveranstaltung, die in einer Kirche abgehalten worden ist.

Becirovic: Keine Wahlkampfveranstaltung, aber es kommt zum Beispiel vor, dass ein Abgeordneter in die Kirche geht, um für sich Werbung zu machen.

Dönmez: Das ist genauso verwerflich. Aber diese Problematik ist ja nicht allein dem Islam zu Eigen. Es ist eine Frage, die alle betrifft. Warum benötige ich die politische Instrumentalisierung einer Religion, um damit Politik zu machen? Wer das glaubt und macht, ist ein Schwachkopf. Das Schlimme ist leider, dass genau das in vielen muslimischen Ländern gemacht wird. Beispielsweise wird die Religion in der Türkei massiv missbraucht und instrumentalisiert, um Politik zu betreiben. Die türkische Gesellschaft erlebt momentan eine gewaltige Schubumkehr weg vom Laizismus. Auswirkungen dessen erleben wir mittlerweile auch in Österreich, wo es jetzt sogar Bestrebungen gibt, eine İmam-Hatip-Schule (staatliche Berufsschule für die Ausbildung zum Imam und Prediger in der Türkei; Anm.) in Wien zu gründen. Zu solchen Entwicklung muss man entschieden sagen: »Das möchten wir nicht! Wir wollen nicht, dass die Religion für politische Zwecke zweckentfremdet wird!« Das ist eine legitime Haltung, die keineswegs islamophob, rassistisch oder ausländerfeindlich ist.

Becirovic: Glaubst du, dass die muslimische Gemeinde in Österreich eines Tages einen ähnlichen Stand wie die Katholiken erreichen wird? Die katholische Kirche hat unter anderem Ordensschulen und dergleichen. Wäre es dann nicht verkehrt, den Muslimen dasselbe zuzugestehen?

Dönmez: Das ist eine absolut berechtigte Frage. Wenn man einer Religionsgruppe bestimmte Privilegien einräumt, kann man sie den anderen nicht verwehren. Darum hat zum Beispiel die IGGiÖ berechtigterweise gegen das neue Islamgesetz 2015 protestiert, weil es die Muslime ungleichbehandelt. Ich habe immer gesagt: Gleiches Maß muss für alle gelten. Wenn ich es kirchlichen Institutionen ermögliche, Ordensschulen, Krankenhäuser und soziale Einrichtungen zu betreiben, dann muss ich das auch – ob es einem nun gefällt oder nicht – den anderen Religionsgemeinschaften zugestehen. Was die dann mit einer derartigen Möglichkeit anfangen, ist es eine andere Frage.

Becirovic: Nur wo ziehe ich die Grenze? Ab wann schließe ich eine muslimische Schule, wann eine Ordensschule?

Dönmez: Wir haben in Wien unlängst eine Diskussion um islamische Kindergärten gehabt. Die Grenze wird und wurde dort gezogen, wo Standards nicht mehr eingehalten werden – sei dies nun im schulischen Bereich, bei pädagogischen Standards oder beim Ausbildungsniveau der Pädagogen und Pädagoginnen. Letztendlich sind das Fragen, die sich äußerst schwer beantworten lassen. Deshalb greift sie auch kaum ein Politiker auf. Die viel wichtigere Frage ist das generelle Verhältnis zwischen Staat und Religion. Es ist ungerecht, der einen Seite etwas zuzugestehen, während ich der andere dasselbe verweigere. Dagegen müssen wir eigentlich ankämpfen.

Becirovic: Mich würde interessieren, ob du es zulassen würdest, dass eine Frau mit Kopftuch in Österreich das Richteramt bekleidet.

Dönmez: Da sind wieder genau wieder bei dem Punkt. Staat und Religion sind getrennt zu halten. Religion ist Privatsache. Das Verbieten von Symbolen würde genau diese Fragestellung erübrigen. Doch solange wir traditionell Kruzifixe in Schulgebäuden haben, ist es extrem schwierig, dass man einer Richterin das Kopftuch verbietet. Entweder alles verbieten oder alles zulassen. Es darf schlichtweg niemand unsachlich privilegiert behandelt werden.

Becirovic: Ich habe nichts dagegen, dass das Kruzifix in der Schule hängt…

Dönmez: Ich auch nicht. Damit das nicht falsch rüberkommt: Ich habe überhaupt kein Problem damit.

Becirovic: Wie sich der Staat gegenüber religiösen Symbolen verhält ist eine Grundsatzfrage. Wir sollten sie diskutieren.

Dönmez: Gut, diskutieren wir das weiter. Was ist mit Polizistinnen? Was ist mit Pädagoginnen? Es geht um die repräsentative Funktion, die Vorbildwirkung dieser Berufe und das Frauenbild, das mit ihnen einhergeht. Ich kann dir eines sagen: Mein Verständnis des Korans schreibt an keiner einzigen Stelle vor, dass eine Frau eine Kopfbedeckung tragen muss. Aus irgendeinem Grund ist die Zahl der Kopftuchträgerinnen in den letzten zehn bis 15 Jahren jedoch massiv angestiegen. Hier gibt es neben der persönlich-religiösen, auch eine politische Komponente. Ich möchte dieser Entwicklung keine Bühne bieten, da sonst versucht wird, schrittweise bestimmte Haltungen zu implementieren, die ich ganz offen ablehne. Wer in einem islamisch geprägten Land leben möchte, soll dies tun. Es gibt genug muslimische Ländern, in denen man diesem Verlangen nachkommen kann. Wieso sollte man in Österreich akzeptieren, dass es Schulklassen gibt, in denen Mädchen, die kein Kopftuch tragen, unterdrückt und diffamiert werden? Das sollte man sich nicht gefallen lassen.

Becirovic: Also in den USA ist es nicht wirklich ein Problem, dass Lehrpersonal oder Polizistinnen ein Kopftuch tragen.

Dönmez: Ja, aber in den USA gibt es auch sozial segregierte Viertel, wie Chinatown oder schwarze Ghettos. Das möchte ich nicht haben.

Becirovic: Ich weiß nicht, ob es die Aufgabe des Staates sein kann, einer Frau zu untersagen, ein Kopftuch zu tragen.

Dönmez: Grundsätzlich ist jede Form von Zwang abzulehnen. Wir haben Gesetze, die die individuelle Freiheit in manchen Bereichen aus sachlichen Gründen beschränkt. Ob jemand jedoch ein Kopftuch trägt oder nicht, ist eine höchstpersönliche Entscheidung, mit deren Konsequenzen man umgehen muss. Das Tragen eines Kopftuches oder die Vollverschleierung bringt heutzutage gewisse Auswirkungen am Arbeitsmarkt mit sich. Ich komme aus der Sozialarbeit und kenne viele, die beim AMS (Arbeitsmarktservice; Anm.) tätig sind. Der Grundtenor, den ich oft zu hören bekomme, ist, dass Personen mit Kopftuch kaum vermittelbar sind. Wie sollen diese Menschen dann ihre Existenz bestreiten? Unser Sozialsystem wurde dazu konzipiert, Menschen in Notsituationen zu helfen, nicht aber, um bestimmte Lebensformen und -weisen mit öffentlichen Steuergeldern zu subventionieren. Wie deine Eltern, kommen auch meine aus einem Land, das muslimisch geprägt ist. Rückblickend kann man erkennen, welchen Einfluss die Instrumentalisierung der Religion auf die Gesellschaft haben kann. Da habe ich einen ganz klaren Zugang. Ich will das nicht! Viele Menschen sind gerade aufgrund dieser Entwicklungen aus diesen Ländern weggegangen. Es darf nicht wundern, wenn sich viele von ihnen – von den Österreichern brauche ich gar nicht reden – vor den Kopf gestoßen fühlen, wenn unter dem Denkmantel der Toleranz und Multikulti diese Wertvorstellungen graduell in Österreich eingeführt werden.

Becirovic: Ich sehe leider keine Lösung dafür, weil auf der einen Seite …

Dönmez: Klarheit. Die Lösung ist Klarheit, indem man sagt, was erwünscht ist und was nicht. Wenn wir heute mit unseren Freundinnen und Freunden nach Saudi-Arabien fahren, ist ganz klar, dass du – sobald du einen Schritt aus dem Flugzeug machst – dich so zu verhalten hast, so zu kleiden hast, wie es dort eben Usus ist – sprich: eine Frau muss sich verschleiern und wahrscheinlich darf man nicht Händchen halten, nebeneinander gehen, was auch immer. Das heißt, dass man das dort respektieren muss (betont). Und wenn du das nicht respektierst, hat das Konsequenzen. Wir haben aufgrund unserer Historie in Österreich ein Problem mit Konsequenzen und Problemaufzeigen. Wir haben Komplexe, die uns so schwach machen, sodass wir es nicht schaffen, selbstbewusst an diese Thematik heranzugehen. Gerade deshalb ist dieses Thema leider Gottes nur von Rechten besetzt, während die Linke hier vollkommen inexistent ist. Die SPÖ ist teilweise sowieso mit diesen reaktionären Gruppierungen verbandelt und als letzte Hoffnung bleibt de facto eh nur mehr die ÖVP. Und da wird man schauen müssen, in welche Richtung das in Zukunft geht. Daher braucht es Klarheit, Klarheit, Klarheit und Konsequenzen. Der Zugang muss sein, dass wir eine offene Gesellschaft sind, die sich jedoch wehrt, wenn unsere Werte der Aufklärung, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Demokratie und Rechtstaatlichkeit bedroht werden. Wer das dann trotzdem macht, fliegt!

Becirovic: Mir persönlich geht die Debatte zu weit. Ich finde, dass es nicht dienlich ist, darüber zu streiten, ob ein Kruzifix im Klassenzimmer hängen soll, ob Schulen theologisch geprägt sein dürfen oder ob eine Lehrerin im Klassenzimmer ein Kopftuch tragen darf. Ich glaube, dass es bloß darauf ankommen sollte, wo die Grenze ganz klar gezogen wird.

© Julius Hirtzberger
© Jon Doe

Dönmez: Warum gibt man der Religion überhaupt so eine große Bedeutung? Ich verstehe das nicht. Das erinnert mich an eine Renaissance …

Becirovic: Religion gehört zur Identität dazu. Mich hat sie geprägt.

Dönmez: Ja eh. Ich bemerke in letzter Zeit, dass Religion in der öffentlichen Diskussion immer mehr an Einfluss gewinnt. Auch unser Gespräch ist größtenteils von dieser Thematik bestimmt. All das könnte man sich sparen, wenn man wirklich sauber trennt. Diese saubere Trennung gibt es nicht. Das ist das eigentliche Problem.

Becirovic: Damit lösen wir keine Probleme.

Dönmez: Wieso nicht? Wenn ich sage: »Alle religiösen Symbole sind in der Öffentlichkeit wegzulassen!« Das heißt: Kein Kopftuch und keine Kruzifixe in den Schule. Du hast mich gefragt, ob das möglich ist. Wenn der Wille und der Mut vorhanden sind, sich gegen den gigantischen Gegenwind der katholischen Kirche und der ganzen Islamverbände entgegenzustellen, warum nicht? Es bestehen keine Zweifel daran, dass sich die Religionsgemeinschaften dann zusammentun werden. Es wird keine religiöse Gemeinschaft tatenlos zusehen, wie ihre Privilegien in Frage gestellt werden. Ich glaube, da sind wir uns einig. Das heißt: Wenn es diese Trennung gäbe, könnten wir uns Dreiviertel dieser Fragen und Diskussionen komplett ersparen.

Becirovic: Das stimmt. Aber weißt du: Das erinnert mich daran, was mein Vater mir einmal erzählt hat: Er ist im Kommunismus unter Tito aufgewachsen und da waren religiöse Symbole auch Tabu …

Dönmez: … und wurden unterdrückt. Das ist ein Unterschied.

Becirovic: Es war ein Fehler, meinen Großmüttern das Tragen des Kopftuches zu verbieten. Dadurch wurden sie darin bestärkt, radikal zu agieren und zu denken.

Dönmez: Das ist das, was ich vorhin gesagt habe. Wenn die Religion unterdrückt wird, dann passiert genau das Gegenteil dessen, das man eigentlich damit erreichen wollte. Das ist nicht mein Verständnis von Säkularismus – also der Trennung von Staat und Religion. Die Kemalisten in der Türkei haben die Religion unterdrückt. Was war die Folge? Ein Erstarken der islamistischen Kräfte.

Becirovic: Aber was wird sich eine Lehrerin denken, wenn du ihr im Klassenzimmer das Kopftuch abnimmst?

Dönmez: Da muss man sagen: »Ich respektiere deinen Glauben. Du kannst dein Kopftuch aufsetzen, wo immer du auch möchtest, aber in deinen privaten Räumlichkeiten. Welche sexuellen Einstellungen du hast, ist mir – Verzeihung für den Ausdruck – schnurzegal. In welchen Stellungen du verkehrst, ist Privatsache. Was geht mich das an, ob du eine Frau liebst, einen Mann liebst, in welcher Stellung du’s gern machst – was geht mich das an? Was geht dich das an? Das ist Privatsache!« Warum veranstalten wir bei der Religion so einen Zirkus. Das verstehe ich nicht.

Becirovic: Aber damit löst du das Problem grundsätzlich nicht.

Dönmez: Wenn wir keine saubere Trennung haben, werden wir es auch nicht lösen können.

Becirovic: Aber selbst wenn du der Dame sagen würdest, dass du ihre Religion akzeptiertest und sie ihr Kopftuch privat tragen könne, kann sie noch immer entgegnen: »Nein, ich will das tragen! Wo ist das Problem, wenn ich als Lehrerin ein Kopftuch trage?«

Dönmez: Da sind wir wieder bei dem Punkt, den ich vorhin angeführt habe: Man hat auch eine Vorbildfunktion. Man prägt gewisse Rollenbilder. Ich möchte keine kleinen Mädchen in Österreich herumlaufen sehen, die im Alter von vier, fünf Jahren ein Kopftuch tragen. Das ist doch krank! Wo steht das bitte im Koran? Nur weil ein paar kranke, alte Männer ihre sexuellen Triebe nicht unter Kontrolle haben, sollen die Frauen dafür büßen? Na sicher nicht!

Becirovic: Ich verstehe deine Argumentation. Nur ist es keine Optimallösung.

Dönmez: Ich glaube, dass wir hier dann auf jeden Fall eine klarere, saubere Situation hätten, als wir sie gegenwärtig haben. Es gibt jedoch nicht die Lösung. Es findet ein ständiger, dynamischer Prozess statt, der keinen Anfangs- und Endpunkt hat. Mal schlägt das Pendel in diese Richtung aus, mal in die andere. Wichtig ist immer die Mitte zu finden, damit sich so viele wie möglich auch wiederfinden können. Aber derzeit wird die politische, aber auch die religiöse Extreme bedient.

Becirovic: Mein Gesellschaftsbild sagt, dass für alle die gleichen Regeln gelten sollten. Es sollte ganz klare Regeln geben, wie man sich zu verhalten hat. Aber es ist für mich egal, ob eine Lehrerin oder eine Polizistin ein Kopftuch trägt, solange sie ihre Arbeit vernünftig macht.

Dönmez: Ich verstehe, worauf du hinauswillst, aber wir werden in diesem Punkt wahrscheinlich zu keiner gemeinsamen Haltung oder Meinung kommen. Ich habe hier halt einen anderen Zugang. Ich sage, dass religiöse Symbole, egal welche es sind, nicht im öffentlichen Raum zur Schau gestellt werden sollten. Das gilt für alle. Den Glauben – so wie ich ihn vermittelt bekommen habe – trägt man im Herzen, im Verstand und auf der Zunge – und nicht durch Symbole. Je leerer das Innere wird, umso mehr muss man das Äußere verstärken. Da braucht man dann die Flaggen, mit denen man herumschwingen kann, während man lautstark »Allahu akbar« schreit. Eine kleine Anmerkung am Rande: Das heutige Verständnis von »Allahu akbar« ist komplett aus dem Zusammenhang gerissen. Denn eigentlich steht der Spruch in Verbindung mit der Aufforderung »Preiset den Gott« und ist mit dem christlichen »Halleluja« durchaus vergleichbar. Heute als Kampfbegriff politisch aufgeladen, stellt die »moderne« Nutzung einen Missbrauch sondergleichen dar. Das ist eine Schande.

Becirovic: In Frankreich gibt es Verhüllungsverbote, auch wenn damit die wirklich großen, wichtigen Probleme nicht wirklich gelöst werden. Natürlich ist die Situation in Frankreich extremer als bei uns in Österreich, aber dennoch sehe keine wirkliche Lösung diesbezüglich.

Dönmez: Ich glaube, dass man sich damit zufrieden geben muss, dass es keine explizite Lösung gibt und stattdessen versucht, die Mitte zu finden. Was für dich und mich eine Lösung ist, muss für andere nicht zwangsläufig eine sein. Das zeigt, wie wichtig es ist, Dinge aus unterschiedlichen Perspektiven anzugehen. Bei aller berechtigten Uneinigkeit brauchen wir dennoch einen Grundkonsens. Dieser Grundkonsens sollte die Trennung von Staat und Religion sein.

Becirovic: Im Groben sehe ich die Angelegenheit genauso wie du, nur in gewissen Detailfragen bin ich anderer Meinung.

Dönmez: (lacht) Das ist auch okay so.

Becirovic: (zustimmend) Absolut. (pausiert kurz) Du warst ja Bundesrat bei den Grünen. Denkst du, dass jeder mit Migrationshintergrund, der momentan im Parlament sitzt, ein »Quotenausländer« ist?

Dönmez: Es gibt natürlich gewisse Erwartungshaltungen, die die Parteien in ihre Kandidaten hineinlegen. Das könnte in deinem Fall zum Beispiel sein, dass du die bosnischstämmige Community gut erreichst. In meinem Fall war es vielleicht die Hoffnung, dass ich die türkischstämmige, die muslimische Gemeinschaft erreiche. Aber wenn man diese Haltung hat, dann hat man etwas nicht verstanden. Meines Erachtens sollte man Politik nicht für eine abgegrenzte Bevölkerungsgruppe machen, sondern für bestimmte Werthaltungen und Inhalte, für die man einsteht. Da ist es egal, woher jemand herkommt, welcher Ethnie oder Religion er angehört. Genau hier sind wir wieder bei den gemeinsamen Werten und Haltungen. Ich habe mich immer genau für das eingesetzt, das meinem Zugang, meinen Wertvorstellungen entsprach. Ich habe mich nie als das Sprachrohr der Türkischstämmigen gesehen. Alles andere wäre eine Zumutung und Anmaßung. Auch innerhalb der muslimischen Gemeinde gibt es teils gewaltige Unterschiede. Es wäre Realitätsverweigerung, wenn ich glauben würde, dass ich diese Differenzen abdecken könnte. Nichtsdestotrotz lässt sich oft beobachten, wie versucht wird, Leute mit Migrationshintergrund in den Parteien zu positionieren, die dann sozusagen für »ihre« Gemeinschaft Politik machen. Das ist eine Form der Interessensvertretung. Ich glaube jedoch nicht, dass das gut für die Demokratie ist. Denn es ist wichtig, dass man ein Blick für das Ganze hat, nicht nur für seine eigene Interessengemeinschaft. Darum habe ich hier einen anderen Zugang.

Becirovic: Denkst du, dass es möglich wäre, dass es eines Tages einen Kanzler mit türkischem Migrationshintergrund in Österreich gibt? (lacht äußerst amüsiert)

Dönmez: (sehr entschieden) Nein.

Becirovic: Wieso nicht?

Dönmez: Nicht vor 2050. Minimum. (beide sehr amüsiert) Nein, im Ernst jetzt. Das glaube ich nicht.

Becirovic: Wieso nicht?

Dönmez: Als Minister oder Staatssekretär, ja. Ich glaube aber, dass die Österreicher – was das betrifft – noch nicht so weit sind. Darum sage ich immer: Es müssen die Haltung und die Überzeugungen im Vordergrund stehen. Es ist doch unwichtig, ob jemand aus »Hintertupfing« (fiktiver Name für einen weit abgelegenen, kleinen Ort; Anm.), aus der Türkei oder aus Bosnien kommt, ob jemand muslimischen Glaubens oder Atheist ist. Es geht um die Sache, für die jemand einsteht, die Haltungen, die Werte, die Kompetenzen, die jemand vertritt. Dementsprechend sollte jemand bewertet werden.

© Julius Hirtzberger
© Jon Doe

Becirovic: Denkst du, dass zu viel Migration einem Land schadet?

Dönmez: Ja.

Becirovic: Wieso?

Dönmez: Wir haben jetzt einen Eisbecher gegessen. Wenn wir fünf davon essen würden, glaube ich, hätten wir ein bissl Bauchweh. Wenn wir zehn essen, haben wir ein bissl größeres Problem. Wenn wir hundert essen, sind wir danach sicherlich krank. Das bedeutet, es ist alles eine Frage von Maß und Ziel.

Becirovic: Es beherbergt ein großes Konfliktpotenzial zu sagen: »Österreich war schon immer eine homogene Gesellschaft.« Die Ungarn, die man damals zu Zeiten des Kalten Krieges aufgenommen hat, sind den Österreichern kulturell viel näher als Menschen aus muslimischen Ländern. Man sieht zum Beispiel, dass durch Zuwanderung der soziale Frieden stark gefährdet werden kann. Man glaubt’s nicht, aber es stimmt.

Dönmez: Man muss sich genauer anschauen, welche Art von Zuwanderung wir denn in Österreich haben. Wir möchten Gut- und Besserqualifizierte. Zum Beispiel sind Techniker großteils englischsprachig. Auch unsere gesetzlichen Rahmenbedingungen sind diesbezüglich nicht einfach – auch wenn schon vieles verbessert worden ist. Vor allem ist unsere Steuerbelastung, was Arbeit betrifft, viel zu hoch. Es zeigt sich, dass Österreich für sehr gut ausgebildete Menschen nicht sehr attraktiv ist. Darum erfüllen wir auch die Quoten, die wir mit der »Rot-Weiß-Rot-Karte Plus« anvisiert haben, nicht. Das, was Österreich braucht, kommt nicht. Wenn ich nun einen Großteil an Schlecht- bis Geringqualifizierte habe, muss man sich schon fragen, wie die ihre Existenz in einer Leistungsgesellschaft bestreiten sollen. Wie sollen die das schaffen, wenn es schon für Leute mit guter Ausbildung oft schwer ist, über die Runden kommen? Wie soll es einem Analphabeten gelingen, eine neue, fremde Sprache zu erlernen? Diese Menschen werden dann natürlich abhängig von öffentlichen Transferleistungen. Das ist das, was dann viele Menschen verärgert und aufschreien lässt, dass sie hart arbeiten müssen, während andere alles in kürzester Zeit hinterhergeschmissen bekommen. In Folge dessen entsteht dann eine äußerst negative Stimmung, wie wir sie derzeit erleben.

Becirovic: Ich finde die Diskussion zur Migration im Allgemeinen ein bisschen zynisch. Man hat damals Gastarbeiter haben wollen. Sie sind gekommen. Jetzt stören sie wieder.

Dönmez: Wir würden diese Diskussionen nicht führen, wenn wir einen massiven Arbeitskräftebedarf hätten.

Becirovic: Denkst du das?

Dönmez: Natürlich.

Becirovic: Deutschland hat einen massiven Arbeitskräftebedarf …

Dönmez: Die Deutschen haben fünf Millionen Arbeitslose. Sie haben Ein-Euro-Jobs …

Becirovic: Die haben dennoch in gewissen Regionen, in Bayern zum Beispiel, einen massiven Arbeitskräftebedarf an Höherqualifizierten.

Dönmez: Ja super, »von Höherqualifizierten«. Ich wollte gerade darauf hinaus. Welche Industrie ist dort angesiedelt? Die Automobilindustrie. Das sind hochtechnologisierte Betriebe. Das heißt, du brauchst hier Mindestqualifikationen, damit du dort tätig sein kannst. Wenn du diese Qualifikationen nicht erbringst – aus welchen Gründen auch immer –, wirst du nicht gebraucht.

Becirovic: Ich persönlich sehe die Zukunft nicht sonderlich optimistisch.

Dönmez: Ich bin ein sehr optimistisch eingestellter Mensch, aber es wird sicher nicht einfacher. Ich rede mit sehr vielen Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsschichten. Der Grundtenor ist »Es geht den Bach hinunter. Es ist nur mehr eine Frage der Fließgeschwindigkeit. « Darum ist es wichtig, dass man gerade in der Politik wieder das Zepter in die Hand nimmt und das Ruder herumreißt, wenn man nicht auch noch die allerletzte Glaubwürdigkeit verspielen möchte. Darum ist es wichtig, dass man das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wieder stärkt und die Menschen viel mehr miteinbezieht – nicht nur von Wahl zu Wahl, sondern durch mehr Bürgerbeteiligung. Dazu gibt es mittlerweile unterschiedlichste Modelle, wie zum Beispiel in Schweden. Dort wird einmal im Jahr eine Woche lang ein Treffen abgehalten, bei dem Leute aus der Zivilgesellschaft, Industrie, Wirtschaft, Sozialbereich, Politiker von National- bis zur Gemeindeebene zusammenkommen, sich austauschen und vernetzen. Es finden Veranstaltungen zu den unterschiedlichsten Themen statt, zu denen man sich den Kopf zerbricht, um am Ende eine gemeinsame Richtung zu finden.

Becirovic: Siehst du den sozialen Frieden in Gefahr?

Dönmez: Ja, absolut.

Becirovic: An der Kippe?

Dönmez: Die Situation ist schon sehr angespannt.

Becirovic: Mein Vater sagt zum Beispiel: »Wir werden hier keine Zukunft mehr haben!«

Dönmez: Mittlerweile ist die Zahl der Migranten, die wieder in ihre Herkunftsländer zurückkehren, im Steigen begriffen. Das Tragikomische ist, dass jene zurückkehren, die eine gute Ausbildung haben. Jene, die gut ausgebildet sind, Fatma oder Muamer heißen, gehen in die Herkunftsländer ihrer Eltern zurück, weil sie dort mit offenen Armen willkommen geheißen werden und die gut dotierten Posten teils nachgeschmissen bekommen, während sie in Österreich auf 50 Bewerbung vielleicht nicht einmal fünf Antworten bekommen.

Becirovic: Das ist schon ein bissl schräg.

Dönmez: Das heißt, dass wir hier auf den unterschiedlichen Ebenen noch viel tun müssen, aber leichter wird es nicht – da bin ich bei dir.

Becirovic: Ich habe nicht das Gefühl, dass man in Österreich entgegenkommend ist. Ja, es gibt ganz klare Regeln für alle, aber im Allgemeinen ist kaum jemand bereit, einem die Hand auszustrecken – habe ich das Gefühl. Zum Beispiel mit den fünf Bewerbungen, das du gerade angeführt hast. Mein alter Philosophieprofessor hat Stellenangebote aus Istanbul bekommen und er überlegt, ob er hingehen soll. Ihm wird eine Spitzenposition an der Universität angeboten. Gerade bei solchen Beispiel denke ich mir: »Verlieren wir nicht was?«

Dönmez: Das ist eine politische sowie gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ich glaube, dass es diesbezüglich schon Aktivitäten gibt. Das beste Beispiel sind die Werte- und Normenschulungen, die es nun gibt. Da bekommen Migranten und Migrantinnen zunächst eine Orientierung, ein Verständnis, wie das bei uns funktioniert. Nur hat es so etwas jahrzehntelang nicht gegeben. Diese Fehler der Vergangenheit innerhalb kürzester Zeit aufzuholen, ist jetzt sehr schwierig. Das braucht seine Zeit. Dennoch bin ich überzeugt, dass es allmählich in die richtige Richtung geht. Wenn auch sehr langsam.

Becirovic: Wirklich? Denn es ist nach wie vor weit verbreitet, dass bei Bewerbungen ein Einheimischer – ungeachtet der objektiven Qualifikationen – gegenüber jemandem mit Migrationshintergrund bevorzugt wird.

Dönmez: Das ist natürlich ein riesengroßes Problem. Das darf und sollte nicht sein. Wie ich vorhin gesagt habe, dürfen wir nicht die Herkunft in den Vordergrund stellen, sondern die individuellen Fähigkeiten. Aber wenn diese Benachteiligung stattfindet, ist sie zum Nachteil Österreichs, weil die guten Leute dann wieder weggehen. Jeder ist irgendwann einmal mit seiner Geduld am Ende.

Quelle: https://www.kopfumkrone.at/kultur/doenmez-je-dunkler-man-ist-umso-mehr-muss-man-leisten/

 

Von Efgani Dönmez
EFGANİ DÖNMEZ Projektmanagement – Abgeordneter zum Nationalrat a.D.

Archiv

Kategorien

Schlagwörter-Wolke