EFGANİ DÖNMEZ Projektmanagement – Abgeordneter zum Nationalrat a.D.

Religion in einer säkularen Gesellschaft aus muslimischer Sicht

Zunächst ist festzuhalten, dass diese „muslimische Sicht“ keine Allgemeingültigkeit für den Islam und für die Muslime hat, sondern nur eine subjektive Sichtweise meiner eigenen Erfahrungswelt, meiner persönlichen Exegese des Islams und meinem Bestreben nach einer differenzierten Denkweise entspringt.

Die öffentlichen Debatten werden meiner Meinung nach sehr verkürzt und in extremen Gegensätzen geführt. Auf der einen Seite das Bild des rückständigen und reaktionären Islam, welches Moderne, Aufklärung und Fortschritt ablehnt. Auf der anderen Seite der Vorwurf von Vorurteilen, Arroganz, westlicher Einflussnahme und Islamophobie. In Europa und in Österreich wird immer mehr die Haltung vertreten, dass Aufklärung, Moderne und Islam sich ausschließen. Wenn wir diese Diskussionen führen, dann müssen wir uns die Frage stellen, was unter Aufklärung, Moderne, Menschenrechte und Frauenrechte gemeint ist und ob es diese im Islam überhaupt nicht gibt? Was ist überhaupt der Islam? Was ist Tradition und wird mit dem Islam als Religion begründet? Je mehr wir differenzieren ohne uns zu verlaufen, je mehr wir unser Denken erweitern, umso mehr werden wir erkennen, dass viele Fragen wir uns eigentlich auch selber stellen müssen. In wieweit gibt es eine tatsächliche Trennung von Staat und Religion in Österreich? Was verstehen wir unter Säkularisierung? Wie steht es um Toleranz, Menschenrechte, Rechtsstaat und Demokratie in Europa?

Ist es nicht eher eine Frage, wie wir selber diese wahrnehmen und damit umgehen? Kann man die Aufklärung überhaupt als abgeschlossene Epoche wahrnehmen und was braucht es, um eine erweiterte Denkungsart in Gang zu bringen, um Vorurteile, Hass und Gewalt den Nährboden zu entziehen?

Rechtspopulisten, christliche und jüdische Fundamentalisten und Menschen, welche wenig bis kaum Wissen über den Islam haben, betrachten die islamische Religion als totalitäre oder faschistische Religion. Sie sind gegen den Islam, weil es auch eine Religion ist. Unsere Außenministerin Karin Kneissl brachte es bei einer Podiumsdiskussion auf den Punkt: „Die Vorurteile blühen, politische Gewalt und Manipulation tragen zu Ängsten und Dämonisierung des Anderen bei.“

Es gibt ja nicht wenige, welche meinen, dass generell Aufklärung und Religion nicht zusammenpassen und noch weniger, dass der Islam mit Aufklärung und Moderne zusammenpassen. Es gibt auch die weitverbreitete Haltung, dass generell alle monotheistischen Religionen und im speziellen der Islam gewalttätig sei. Diese Haltungen werden dann auch noch von manchen Muslimen oder Ex-Muslimen bestärkt, wie Hirsi Ali oder Hamed Abdel Samad, wenn sie den Islam als totalitäres System abstempeln, dann bekommen sie Zustimmung und diese Ansichten werden mit Begeisterung aufgenommen, weil sie eigene Meinungen und die bestehenden Vorurteile damit nur bestätigen. Der Islam wird pauschal zum Gegenstück von Humanismus, Freiheit von Gewalt, der Toleranz, sprich zum Gegenpol des Westens und der Aufklärung kategorisiert. Die Aufklärung wird als Kampfbegriff verwendet, um sich selbst zu beschreiben und sich von den Muslimen abzugrenzen und die Ablehnung zum Ausdruck zu bringen.

Das Islambild in Europa und in Österreich sowie der Islamdiskurs ist ein fataler. An diesem desaströsen Image des Islam und der Muslime, tragen primär die reaktionären Islamverbände, welche zum Großteil im unmittelbaren Einflussbereich der Herkunftsländer stehen, ihre Hauptverantwortung. Unter der Schirmherrschaft von ATIB, Milli Görüs, Moslembruderschaft, Grauen Wölfe, usw. kann und wird sich kein modernes Islamverständnis herauskristallisieren.

Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Einfluss zurückdrängen und Klarheit darüber herrscht über welchen Islam wir sprechen. Wie Sie wissen, gibt es im Islam zwei Hauptströmungen, welche sich in den sunnitischen und den schiitischen Islam aufteilen lassen sowie in unterschiedliche Rechtsschulen. Diese Spaltung erfolgte erst nach dem Tod des Propheten Mohammed, indem es um die Frage der Nachfolge gegangen ist.

Der Islam, sufischer Strömung, wo Humanismus und Toleranz das Fundament der Exegese darstellen, stehen in keinster Weise in Opposition zur Demokratie und die des Rechtsstaates. Der Islam salafistisch-wahhabitischer Ausprägung ist jedoch eine klare Kampfansage an die Demokratie und unsere westliche Gesellschaftsform und ist eine große Gefahr für unsere öffentliche Sicherheit, Ruhe und Ordnung und stellt unsere Sicherheitsbehörden auch vor riesengroße Herausforderungen.

Ein kritischer Diskurs mit dem Islam ist unumgänglich, um aus der geistigen und theologischen Sackgasse herauszukommen. Jedoch ist ausschlaggebend mit welcher Intention dies geschieht. Es ist sehr einfach bei islamistisch motiviertem Terror vom Missbrauch der islamischen Religion zu sprechen und zu suggerieren, dass Islam und Terror rein gar nichts miteinander zu tun haben. Die OIC (Organisation of Islamic Countries) verfolgt mit gezielten Strategien, wie der Finanzierung des Islamophobie-Berichtes, welche von einer türkischen AKP-Lobbyorganisation finanziert wird, jegliche berechtigte Kritik als Islamophobie und Diffamierung am Islam, im Namen der Religionsfreiheit schon im Keim zu ersticken. Die Intention von reaktionären Muslimverbänden und ihren Protagonisten, jegliche Kritik als pathologisch zu betrachten, ist auf jeden Fall auf das Schärfste zurückzuweisen. Der Islam ist für Mursi, Erdogan und Co nicht nur eine Religion und eine Glaubenssache, sondern eine Ideologie, um die gesamte Gesellschaft zu durchdringen und die Trennung von Staat und Religion aufzuheben. Vertreter des politisierten Glaubens bereiten den islamistischen Fundamentalisten den Nährboden auf, um ihre ewigen und einzigen Wahrheitsansprüche, ihre Regeln, ihre Gesetze und ihre engen Interpretationen nach dem Streben einer einheitlichen geschlossenen Glaubensauslegung in der Gesellschaft zu implementieren. In so einer Atmosphäre werden die staatlichen Gesetze ausgehöhlt und religiösen Normen Vorrang gegeben. Am Beispiel der türkischen Religionsbehörde Diyanet ist diese Entwicklung am besten Beobachtbar.

Nur vier Monate nach der Gründung der Türkischen Republik hat das türkische Parlament am 3. März 1924 auf Anordnung von Mustafa Kemal, der erst später den Nachnamen Atatürk erhalten sollte, drei Gesetze verabschiedet, die man durchaus als Grundlage des neu entstehenden säkularen Staates und als Voraussetzung für die noch kommenden Reformen bezeichnen kann.

Mit dem Gesetz Nr. 429 wurde das türkische Präsidium für religiöse Angelegenheiten (Diyanet İşleri Başkanlığı) oder kurz Diyanet gegründet. Damit wurden sämtliche Imame, die in der Türkei predigen durften, zu weisungsgebundenen Staatsbeamten. Diese hatten von nun an die Aufgabe, einen Islam zu predigen, der dem säkularen Staat nicht in die Quere kam und die moderne Gesellschaftsordnung mit den Reformen Atatürks, die nun folgen sollten, nicht in Frage stellte. Ohne Kontrolle der Imame respektive ohne ihre Weisungsgebundenheit wäre dies unmöglich gewesen. Mit dem Gesetz Nr. 430, das gleich anschließend verabschiedet wurde, hat das Parlament das gesamte Bildungssystem dem bereits im Jahre 1920 gegründeten Ministerium für Nationale Erziehung (MEB) übertragen und damit die religiösen Schulen, die sog. Madrasas, schließen lassen. Mit dem Gesetz Nr. 431 schließlich wurde das Kalifat abgeschafft. Unter dem Einfluss des türkischen Präsidenten Erdogan wurde die Religionsbehörde zu einem der einflussreichsten Ministerien, mit einem jährlichen Budget von 6 Milliarden, 867 Millionen Türk Lirasi, was einer Budgetanhebung von 5,93% bedeutet. Die Diyanet kontrolliert offiziell 86.760 Moscheen und 117.000 Mitarbeiter alleine in der Türkei, hinzukommen die Auslandsableger am Balkan, in Nordafrika, im Kaukasus und in Europa, alleine in Deutschland betreibt die DITIB 970 Moscheen. Das österreichische Pendant die ATIB, betreibt in Österreich ca. 60 Moscheen. Über diese zum verlängerten Arm der türkischen Innenpolitik mutierten Institutionen, nimmt die AKP direkt und indirekt massiven Einfluss auf die in der Diaspora lebenden Menschen.

Es wird desöfteren irreführender Weise Religionsfreiheit als Freiheit von Religion verstanden. Ebenso ist Säkularismus nicht gegen die Religion, sondern für die Trennung von Staat und Religion. Ein weiteres Merkmal der selektiven Wahrnehmung im Islamdiskurs ist, dass von Seiten der Kritiker die Auswahl von Koranversen und Suren, die offenbar Gewalt rechtfertigen oder dazu aufrufen als Beispiel angeführt werden. Die Verteidiger beziehen sich auf die Suren und Verse welche Gewalt ablehnen, zu Barmherzigkeit, Toleranz und Frieden aufrufen. Der Koran wird kaum in seiner Vielschichtigkeit, Komplexität und oft in sich widersprüchlichen Gesamtheit erfasst. Die organisierten Islamverbände in Europa und Österreich, welche fast ausnahmslos dem Lager des politischen Islam zuzuordnen sind, beschönigen und verharmlosen die äußerst bedenkliche Entwicklung in den muslimischen Communitys. Die vor kurzem publizierte Moscheenstudie ist hier nur als eines von vielen Beispielen anzuführen.

Der geistige Stillstand in der islamischen Welt ist nicht mit dem Faktor des Islams alleine erklärbar. Hier spielen soziale, ökonomische und politische Einflussfaktoren, sei es auf nationaler oder internationaler Ebene auch eine immense Rolle. „Den philosophischen Analysen von Hume und Kant kann man entnehmen, dass Versuche, etwa das Wesen des Westens, des Abendlandes oder des Islams erkennen zu wollen, zum Scheitern verurteilt sind.“, dies hat Dr. Georg Cavallar in seinem hervorragenden Buch „Islam, Moderne und Aufklärung“ eindrucksvoll festgehalten.

Wir müssen eine gemeinsame Sprache und Haltungen der Vernunft entwickeln, unabhängig unserer Herkunft und Religionszugehörigkeit. Unsere Gesellschaft wird immer pluraler. Diese Pluralität braucht ein gemeinsames Fundament, wenn wir auch in Zukunft friedlich miteinander leben möchten. Daher ist für mich persönlich nicht die Herkunft, die Religionszugehörigkeit, Ethnie oder Religiösität in einer Gesellschaft die bestimmende Kategorie, sondern das Eintreten für gemeinsame Werte und Haltungen, welche auf Humanismus beruhen der entscheidende Faktor. Diese Werte und Haltungen, wie der Rechtsstaat, die Demokratie, die Gleichstellung von Mann&Frau und die Trennung von Staat und Religion sind für mich das unverhandelbare Fundament. Im Bereich des interreligiösen Dialogs sollte mehr Tiefgang und auch ein harter, jedoch von Respekt getragener Diskurs – indem Gläubige ihren religiösen Traditionen folgen und sich im Zeichen des Humanismus und der Toleranz annähern – stattfinden. Es sollte Schluss mit oberflächlichen und gut gemeinten Freundlichkeitsäußerungen gemacht werden, damit die moralische Glaubwürdigkeit jeder Religion und Theologie in den Mittelpunkt gerückt wird.

Trotz der vorhandenen Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Islam und Christentum gibt es eine unübersehbare Gemeinsamkeit zwischen der katholischen Kirche und dem Islam. Eine Verbindung religiöser und politischer Elemente sowie das Bestreben nach einer weltlich-religiösen Einflussnahme auf Gesellschaften.

Was wir Muslime noch intensivieren müssen ist eine Haltung, welche im Namen der Wahrheit und der Wahrheitssuche von einem tiefen Verantwortungsgefühl getragen wird. Wir dürfen nicht den falschen Idealen, welche das eigene Denken einschränken hinterherlaufen, sei es im Gewand von Geistlichen oder Politikern. Idschithad bedeutet Anstrengung. Der Anstrengung muss ein unendlicher Wissensdurst voranschreiten und die eigenständige Interpretation von Schriftquellen und das unabhängige, selbstständige Denken sowie die Wahrheitssuche mit Hilfe der eigenen Vernunft umfassen. Würde man sich mit diesen Haltungen an den Islam annähern, dann würde man relativ rasch die Diskrepanz innerhalb der Theologie und die Heuchlerei mancher Geistlicher sowie die des sogenannten „Islamischen Staates“ erkennen. Wir Muslime müssen den Mut aufbringen selber zu denken und das auch öffentlich kommunizieren. Eine selbstständig, rational, ohne Nachahmung praktizierte Religiösität im Rahmen eines theologischen Rahmens, welcher, wie Dr. Mouhanad Khorchide es bezeichnet von „Sich Öffnens“ – im Sinne von nach innen, um sich ständig kritisch zu reflektieren sowie auch nach außen, sich auch auf das Andere einzulassen, sollte Gegenstand unserer Idschithad sein.

Eine Differenzierung zwischen Religion und Theologie, zwischen kollektiver und individueller Religion, zwischen Religion und Politik, zwischen einem Islam der Identität schafft und einem Islam der die einzige Wahrheit für sich beansprucht, ist zu unterscheiden. Die Säkularisierung sollte als die notwendige Differenzierung von religiöser und säkularer Sphäre verstanden werden und nicht als Kampf gegen die Religion bzw. das Abdrängen in den Privatbereich. Die Ideologisierung und Instrumentalisierung des Islam durch die Politik ist der größtmögliche Schaden, welche die Vertreter des Islams am Islam und im Namen des Islams als Religion, verkleidet im Gewand der Religiösität und in Anmaßung in Gottes Namen zu handeln, verkörpern.

Ich wünsche mir eine islamische Aufklärung, wo sich die unterschiedlichen islamischen Rechtsschulen auch mit philosophischen Aspekten, mit Aspekten des kritischen Denkens und der erweiterten Denkungsart auseinandersetzen. Ich wünsche mir eine Entpolitisierung und eine Entideologisierung des Islams. Denn Ideologien schaffen Feindbilder und diese wird als Waffe gegen die Feinde, Andersdenkende, Andersgläubige und Abweichler eingesetzt. Jede Religion, so wie ich sie verstehe und auffasse, hat jedoch die Aufgabe das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen, ohne alles gleich zu machen. Ich sage klar Ja zum Islam, jedoch ein entschiedenes Nein zum politischen Islam. Wir Muslime sollten uns vermehrt die Frage stellen, was wir falsch machen, statt uns in die Opferrolle zurückzuziehen. Die Interpretation des Islams und des Korans als Mittel der politischen Herrschaft und zur Instrumentalisierung der Gesellschaft lehne ich auf das Schärfste ab, vielmehr sollte das Bemühen darin liegen, die geistig tiefe Dimension und Spiritualität sowie den humanistischen Aspekt, welche dem Islam innewohnt in den Mittelpunkt zu rücken, statt auf oberflächlichen Äußerlichkeiten, wie „islamische“ Kleidung, islamische Symbole und das Wiederholen von Texten, welche man nicht versteht als Religiösität zur Schau stellt.

Warum ich persönlich, so eine brennende säkulare Haltung einnehme und für die Trennung von Staat und Religion eintrete, liegt darin, weil ich der Überzeugung bin, dass es keine Religionsfreiheit außerhalb einer säkularen rechtsstaatlichen Grundordnung verwirklicht werden kann.

 

Von Efgani Dönmez
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